44. [Die Fenesleute]
Im nördlichen Schlesien, bei dem Dorfe Heinzendorf, ist ein Berg,
auf dessen Gipfel sich das s. g. Fenesloch befindet. Dort im Innern des
Berges wohnten vor langer Zeit die Fenesleute; sie waren nicht
größer als ein fünf oder sechsjähriges Kind, aber
ihr Kopf, den sie mit einem großen, breitkrämpigen [breitkrempigen]
Hute bedeckten, war von unförmlicher Größe, und ihre Züge
waren unschön.
Sie thaten [taten] den Menschen nichts zu leide, wenn sie nicht gereizt
wurden, im Gegentheile, so mancher ist von ihnen bereichert, der sich
ihnen freundlich erwies und ihnen Dienste leistete. Man erzählt sich
von ihnen folgende Geschichten:
a.
Ein armer Bauer aus Heinzendorf gieng in den Wald Holz zu sammeln. Auf dem Rückwege sah er einen Fenesmann mühsam mit einer Last von Säcken einherkeichen. Mitleidig nahm der Bauer dem Männlein die Last ab und trug sie bis an den Fuß des Berges, auf dem die Fenesleute wohnten. Beim Abschied gab er dem Bauern einen Sack zum Lohne. Der Bauer dankte und entfernte sich. Anfangs fand er den Sack federleicht, doch wurde er mit jedem Augenblicke schwerer und zuletzt konnte er denselben kaum mehr weiter schleppen. Als er ihn nun zu Hause öffnete, war er ganz voll Silbermünzen, so daß er von der Stunde an ein reicher Mann war.
b.
Ein Bauer befand sich einst auf dem Felde und ackerte. Da sah er aus
dem Fenesloche auf dem Berge Rauch aufsteigen, was immer ein Zeichen war,
daß die Männchen ihre Mahlzeit bereiteten. "Ihr Fenesleute",
rief der Mann spöttisch (er wollte nämlich nie glauben, daß
es Fenesleute gebe) "seid so gut und kocht für mich auch einen
Krautplatz mit!" (eine Art Kuchen, der mit Kraut gefüllt ist).
Nach einer Weile trat zu seinem großen Erstaunen ein ungestalter
Fenesmann zu ihm und brachte ihm einen schönen Krautkuchen. Er dankte
und der Fenesmann entfernte sich wieder.
Der Mann kehrte nun seinen Pflug um, so daß ihm das Pflugeisen als
Tisch diente, und machte Anstalten den Kuchen zu verzehren; doch wie er
denselben zerbrach, zerfiel er unter seinen Händen in Staub und Unrath
[Unrat]. Das war die Strafe dafür, daß er die Fenesleute verspottet
und nicht an ihr Dasein geglaubt hatte.
c.
Es waren einmal zwei alte Bauersleute, ein Mann und eine Frau, denen
gieng es sehr schlecht, denn sie waren schon zu schwach um nur das tägliche
Brot zu verdienen. Wohl hatten sie einen Sohn, aber der war noch zu jung.
Dem gieng die Noth seiner Eltern so zu Herzen, daß er beschloß
ihnen zu helfen. Er trat vor sie hin und sprach: "Gute Eltern, ich
kann euren Kummer nicht mehr ansehen, ich will fortziehen und mein Glück
in der Welt versuchen. In ein paar Jahren komme ich dann als reicher Mann
wieder und alle unsere Noth hat ein Ende." Lange wollten es die Eltern
nicht zugeben, doch endlich, da der Sohn mit Bitten gar nicht nachließ,
gaben sie ihre Einwilligung. Die Mutter packte weinend sein bischen Habe
in das Ranzel, und gab ihm eine Flasche Wein und ein Stück Brot.
Dazu fügte sie die Ermahnung, daß er gottesfürchtig und
fromm bleiben, und keinen Nothleidenden ungetröstet lassen solle.
Weinend schieden sie, doch bald wurde der Bursch in der freien Natur aufgeheitert,
und ein lustiges Liedchen singend schritt er munter durch den grünen
Wald. Da gewarte er unter einem großen Baume ein kleines Männlein,
dessen unförmlichen Kopf eine kleine, goldene Krone zierte. Das war
der König der Fenesleute; der rief den Burschen an: "O gib mir
eine kleine Labung, guter Knabe, ich verschmachte fast vor Hunger und
Durst". Schon wollte der Bursche vorübereilen, da fiel ihm die
Ermahnung seiner Mutter ein, und er reichte dem Fenesmann Wein und sein
letztes Stücklein Brot. Als der Feneskönig gegessen und getrunken
hatte, sprach er zu dem Burschen: "Ich bin so schwach, daß
ich nicht gehen kann, sei so gut und trage mich". Da nahm er den
Feneskönig auf die Schulter und trug ihn bis an den Fenesberg, an
den Eingang einer Höhle. Nun dankte der Feneskönig dem Jüngling,
und sagte er solle nach vier Jahren wieder an dieselbe Stelle zurückkommen,
dann werde er ihn belohnen.
Das Männchen gieng in die Höhle; der Bursche hinaus in die Fremde.
Nach vier Jahren kam er wieder zurück, aber nicht als reicher Mann,
wie er gewollt, sondern wo möglich noch ärmer als er fortgezogen.
Das Glück war ihm nicht günstig gewesen, und traurig und düster
schritt er durch den Wald. Da dachte er an das Versprechen des Feneskönigs.
Und siehe da, er stund an dem Felsen, bei welchem er ihn verlassen hatte.
Der Felsen that sich auf, der Feneskönig trat heraus und winkte dem
Burschen. Der folgte ihm getrost in den Berg hinein, und wurde von den
Fenesleuten trefflich bewirtet; überdieß gab ihm der König
am andern Morgen sein Felleisen gefüllt zurück, mit dem Auftrage
es erst zu Hause zu öffnen.
Dankend gieng [ging] der Bursch weiter und gelangte Abends vor seiner
Eltern Haus. Erwartungsvoll öffnete er das Felleisen und sah lauter
Eicheln darinnen. Ärgerlich ergriff er nun das Felleisen und begann
die Eicheln in den Bach zu schütten. Da sah er es Plötzlich
im Mondschein blinken und flimmern; heftig klappte er das Felleisen zu,
und fand zu seiner großen Freude Goldmünzen in dem Ranzen.
Den grösten Theil [Teil] hatte er freilich schon verschüttet,
aber selbst der Rest genügte, um sich und seine Eltern für ihr
ganzes Leben reich zu machen.
d.
Die Fenesleute lieben die schönen Menschenkinder; und so geschah
es oft, daß sie ein am Felde liegendes Kind mit sich in ihren Berg
nahmen, und ein Feneskind dafür hinlegten. Darüber wurden aber
die Bauern böse und beschlossen die Fenesleute zu vertreiben; sie
warfen zu diesem Behufe Steine in das Fenesloch, und lauerten den Männchen
überall auf. Endlich fanden es diese gerathen lieber freiwillig zu
gehen. Einer von ihnen schlich sich in's Dorf und bot einem Bauer eine
Menge Geld, wenn er eine Fuhre übernehmen wollte. Der Bauer willigte
ein und fuhr mit seinem Wagen hinaus zum Fenesloch. Da war plötzlich
der ganze Wagen voll Rindsblasen ; der Bauer wunderte sich über die
seltsame Last, noch mehr erstaunte er, als er seine Pferde von Schweiß
triefen sah, und diese den Wagen kaum fortziehen konnten. So führte
er sie bis über die Gränze [Grenze].
Der Feneskönig belohnte ihn reichlich und sprach: "Nun sollst
du auch sehen, was du gefahren hast". Jetzt kroch aus jeder Rindsblase
ein Fenesmann mit Sack und Pack hervor, die nun alle rüstig weiterschritten.
Seit der Zeit hat man keine mehr gesehen.
Jetzt wird das Fenesloch nur noch benützt um die Steine der nahe
gelegenen Acker hineinzuwerfen, aber im Munde des Volkes leben die Sagen
von den Fenesleuten fort.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 228ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.