DER GESPENSTISCHE BARBIER

In einer einsamen Waldschenke bei Stotzing übernachtete einmal ein reisender Handwerksbursche. Um Mitternacht öffnete sich die von innen verriegelte Tür und es trat eine unheimliche Gestalt mit einem langen weißen Barte, in alte Tracht gekleidet, herein. Wiewohl der Handwerksbursche keine Furcht kannte, wurde es ihm doch unheimlich zu Mute. Der Alte trat zum Bette, bbetrachtete ihn und stellte nach einer Weile einen Stuhl in die Mitte der plötzlich erleuchteten Kammer. Dann gab er dem Burschen durch Gesten zu verstehen, er solle sich auf den Stuhl setzen. Der Bursche wollte davon nichts wissen und blieb in seinem Bette liegen, worauf die unheimliche Erscheinung zu ihm kam und ihn aus dem Bette zerrte. So blieb dem Burschen nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen. Kaum hatte er sich auf den Stuhl niedergesetzt, seifte ihn der Geist schon ein und rasierte ihn sodann wie der beste Haarschneider. Als er damit fertig war, gab ihm der beherzte Bursche ein Vierkreuzerstück als Lohn. Der Alte nahm die Kupfermünze und warf sie zum Fenster hinaus, worauf er verschwand. Tags darauf fand der Handwerksbursche vor dem Fenster einen Topf voll Dukaten.


Vergl. Märchen aus Tirol, Ignaz V. Zingerle, Der Krämer


Quelle: Sagen aus dem Burgenland, Herausgegeben von Anton Mailly, Adolf Pfarr und Ernst Löger, Wien und Leipzig 1931, Nr. 15, Seite 32