Die Abtrünnigen

Im Jahre 1683 kamen seltsame Gestalten, mit weiten Röcken und Hosen bekleidet, krummen Säbeln an der Seite und mit aus bunten Stoffen gewickelten Turbanen auf dem Kopf nach Wiesen. Es waren nach Wien ziehende Türken. Viele der Dorfbewohner verließen den Ort und flüchteten in die sichere Burg Forchtenstein. Und sie taten gut.

Sonst wäre es ihnen vielleicht so ergangen, wie es der Familie Mahlfleisch erging. Da blieb nämlich, als der Vater schon fort war, die Mutter mit ihren Kindern zu Hause. Als dann die Türken durch den Ort gingen und in der Mitte des Dorfes in das Haus hineinkamen, vor dem auch heute noch der Brunnen aus jener Zeit steht, glänzten ihre Augen in heller Freude. Nicht vielleicht der kostbaren Schätze wegen, die sie hier zu finden glaubten, nein, sie freuten sich an dem Anblick der Mutter, besonders aber der Kinder. Zwei Knaben im Alter von fünf und acht Jahren spielten friedlich miteinander, nichts ahnend von dem Schicksal, das ihnen bevorstand. Und ein kleiner Knabe, der von der Welt überhaupt noch nichts wußte, lag in der Wiege. Mit roher Gewalt packten die Türken die zwei spielenden Knaben. Die Mutter, der nun die Absicht der Türken klar wurde, da sie schon oft gehört hatte, wie gerne diese Christenknaben fortschleppten, um aus ihnen gute Soldaten zu erziehen, stellte sich schreiend und weinend in den Weg. Es half aber nichts; auch sie wurde gefesselt und mit ihren Knaben auf einen Wagen geworfen. Und fort ging es nach Wien und von dort dann in das fremde, weite Türkenland.

Jahre vergingen; die zwei Mahlfieisch-Knaben wurden groß und gelangten sogar zu hohen Würden. Sie wurden Heerführer im Türkenland. Doch als dann friedliche Zeiten kamen und sie im Türkenland am sonnigen Meeresufer saßen und über Vergangenes sprachen, da tauchten vor ihnen die traulichen Bilder der Heimat auf; dunkle Wälder und rauschende Wasser, arme Hütten mit Strohdächern, aus denen der blaue Rauch sich am dunklen Nadelholzberg hinzieht. Da litt es sie nicht länger, sie bereiteten sich zur Heimreise vor, um vor ihrem Tode owenigstens einmal noch die Heimat zu sehen. Sie kamen auch glücklich heim und traten tief bewegt in das Haus. Doch fanden sie weder Vater noch Mutter mehr am Leben. Als die Anwesenheit der beiden sich im Dorf verbreitet hatte, lief alles zusammen und staunte die Fremden mit ihren langen Mänteln und wallenden Barten neugierig an. Es wurde dann alles, was seit jenen bösen Tagen vorgefallen war, erzählt und von Mutter und Vater gesprochen.

Dann kam es wieder zum Abschied. Wohl baten die herbeigeeilten Bürger und der Priester die beiden zu bleiben, diese ließen sich aber nicht abhalten; sie gingen zurück in ihre neue Heimat, wo Reichtum und Prunk ihrer wartete. Da sie nun zum zweiten Mal ihre Heimat gegen Glanz und Prunk vertauschten, wurden sie die Abtrünnigen genannt.


Quelle: Sagen aus dem Rosaliengebirge, August Strobl, in: Heimatkundlicher Familienkalender, St. Polten 1949, S. 180f, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 142f.