Das St.-Christoph-Gebet

Im ersten Haus, das wir erblickten, wenn wir auf dem Gipfel des Rosaliengebirges anlangten, versammelten sich vor vielen Jahren allabendlich die Bauern der Rosalienhäuser. Da sprachen sie von diesem und jenem und auch davon, wie schwer ihre Arbeit sei und wie gut es ihnen doch gehen würde, wenn sie viel Geld hätten.

Da sagte ein alter Bauer bedeutungsvoll:

"Ich weiß, wie man reich werden kann. Man muß nur das St.-Christoph-Gebet neunmal nach vorwärts und neunmal nach rückwärts fehlerlos hersagen, dann erhält man einen Schatz, der jeden zeitlebens zum reichen Mann macht."

"Das wollen wir denn doch versuchen", riefen alle.

Eines Abends gelang ihnen das fehlerlose Hersagen des Gebetes in der vorgeschriebenen Weise. Auf einmal ertönte ein 'wildes Gerassel, das die nahe Rosalienkapelle erbeben machte, und in das Zimmer trat ein großer, hagerer Mann. Es war St. Christoph! Die Bauern erschraken derart über sein Erscheinen, daß sie seinen Gruß nicht einmal erwidern konnten, ja sogar auf seine Frage, was sie mit dem Schatz anfangen wollten, die Antwort schuldig blieben.

Da verließ St. Christoph zornig die Stube, und durch die Zimmerdecke fuhr der Teufel herab, der einen so abscheulichen Gestank verbreitete, daß alle Bauern auf der Stelle starben. Nur ein kleines Kind, das in der Wiege lag, blieb verschont.

St. Christoph aber zog mit seinem Schatz wieder von dannen.

Quelle: Sagen aus dem Rosaliengebirge, August Strobl, in: Heimatkundlicher Familienkalender, St. Pölten 1949, S. 179f, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 225.