Der tote Geliebte

Da war einmal ein Mädchen, die hat keine Eltern mehr gehabt, die hat Maria geheißen. Die hat einen Kaufmannsdiener zum Geliebten gehabt. Und sie haben sich schon zusammengeredet gehabt zum Heiraten, und ohne seine Entlassung von der Heimat haben sie ihn nicht verkündet.

So haben sie sich geschworen und haben sich einander die Hand gegeben und haben gesagt: Er heiratet keine andere nicht, und sie heiratet keinen anderen nicht.

Sagt er:

"Ich reise jetzt nach Hause, und wenn ich in zwei Jahren nicht zurückgekommen bin, so bin ich gestorben."

Es vergehen die zwei Jahre, und er kommt nicht. So war sie ganz traurig. In einem halben Jahr ist ein altes Weib (eine alte Frau) zu ihr betteln gekommen. Sie beschenkt sie recht gut, weil es ihr möglich war. So fragt das Weib (die Frau), warum sie so traurig sei.

So sagt sie: "Mein Geliebter ist ja gestorben."

"Machen Sie von Fetzen ein großes Bündel und kaufen Sie sich ein Spinnrad und das Gesponnene (hier ist der zu spinnende Flachs gemeint) darauf, und um halb elf Uhr müssen Sie zu spinnen anfangen in der Nacht. Nach elf Uhr wird er kommen auf einem Schimmel. Und nicht heruntersteigen, er muß hinaufsteigen und muß Sie von der Stiege hinuntertragen. Er wird sagen: "Schatz, steig herunter." Müssen Sie sagen: "Nein, ich hab' die Macht nicht, steig du herauf."'

Wie er oben war, nimmt er sie auf den Arm und trägt sie über die Stiege herunter. Hat sie das Bündel auch schon gehabt.

Er sagt: "Schatz, steig hinauf!"

Sagt sie: "Nein, ich hab' die Macht nicht, steig du hinauf."

Wie er oben war, hat er ihr hinaufgeholfen auf dasselbige Roß.

Wie sie draußen schon recht weit waren, und der Mondschein, der hat schön geschienen in der Nacht, so sagt der auf dem Schimmel:

"Wie scheint, wie scheint der Mond so hell, wir reiten, wir reiten
wie die Toten so schnell. Herzliebster Schatz, fürchtest du dich nicht?"

Sagt sie: "Nein, sind ja Gott und du bei mir."

Das hat er also dreimal gesagt.

Da sind sie in seinem Land im Friedhof drinnen gewesen. Sein Grab war offen, und das Licht hat drinnen gebrannt.

Er sagt: "Schatz, steig herunter."

Sagt sie: "Ich hab' die Macht nicht, steig du eher ab."

Und wie er absteigt, stößt sie ihn ins Grab hinein und wirft das Bündel nach. Und derweil er das Bündel im Grab zerrissen hat, ist sie vornehm gerannt. So kommt sie in das Totenkammerl hinein und springt dort hinein und macht die Tür zu.

So liegt aber ein Toter drinnen. Er kommt aber vom Friedhof hervor zum Fenster dort und sagt:

"Bruder, gib mir meinen Schatz heraus."

So will er aufstehen, der Tote da drinnen.

So sagt sie: "Tod, bleib liegen, wie dich Christus der Herr gelegt hat!"

Jetzt hat er die Macht nicht über sie gehabt.

Die zwölfte Stunde war aus, und er ist draußen beim Fenster verschwunden.

In der Früh ist sie nach vorne gegangen zum Mesner.

Hat sie halt gefragt, ob sie da keinen Dienst bekommen könnte.

So haben sie sie aber für ein eigenes Kind angenommen.

"In einer Nacht", sagt sie, "bin ich mit meinem Geliebten geritten von einem anderen Land her, und meine Heimat find ich mein Leben lang nicht mehr."

Und sie verbleibt eine Zeitlang dort. Und da haben die Hühner in der Totenkammer so die Eier gelegt, und die klaubt sie zusammen alle Tage. So bleibt ihr so ein Knochen in der Hand kleben und kann die Hand nicht aufmachen.

So ist die Sache gemeldet und drei Wochen verkündet worden, so wie wenn man heiratet.

So haben sie sie nachdem in die Kirche geführt, und dort ist sie eingesegnet worden. Und wie sie beim Altar gekniet ist, da hat er den Segen daraufgegeben auf den Knochen, wie wenn man heiraten tut. Die Nacht ist sie noch gestorben und ist gleich neben seinem Grab begraben worden. Und ihr Vermögen hat die Stadt übernommen, weil sich kein Mensch darum gemeldet hat.


Quelle: Schwänke, Sagen und Märchen in heanzischer Mundart, Johann R. Bünker, Graz 1981 (ergänzte Auflage von 1906, hrsg. v. K. Haiding), Nr. 42, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 89ff.