Ein sonderbares Erlebnis Franz Grillparzers

Hier in Bad Tatzmannsdorf, damals einem vernachlässigten, kleinen Badeort, den mit der Postkutsche zu erreichen eine abenteuerliche und anstrengende Angelegenheit war, weilte in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Österreichs großer Dichter Franz Grillparzer; kein jugendlicher Schwärmer, sondern damals ein alter, griesgrämiger und verbitterter Mann, der über die schlechte Reise, die unzureichende Bequemlichkeit und den ganzen Betrieb des "Kurortes" sich in seinen Briefen sehr prosaisch ausläßt. Und dieser Mann, wie er sich gelegentlich selbst charakterisiert, "ein Verstandesmensch der kältesten und zähesten Art", hatte hier ein Erlebnis, das er mit folgenden Worten in seinem Tagebuch verzeichnete:

"Heute ist mir etwas Wunderliches geschehen: Ich habe im Gehen geträumt. Ich war früh aufgestanden, hatte Wasser aus dem Sauerbrunnen getrunken, gebadet, darauf wieder einen Becher Wasser getrunken und ging im Garten spazieren. Dabei kam ich auf einmal in einen bisher unbetretenen Teil desselben. Er war so schön, die Baumpartien so reizend, daß ich mich nicht genug wundern konnte, ihn früher nicht bemerkt zu haben. Nur waren leider keine Bänke da, indem alles mich einlud, mich niederzulassen. Meine Aufgabe war, noch einen Becher Wasser zu trinken, ich kehrte daher um mit dem festen Vorsatz, den Platz gleich nach dem Trinken wieder aufzusuchen. Es geschah, ich hatte mir den Weg durch eine früher oft betretene, kurze Allee von kleinen Bäumen gemerkt, die Gartenpartie war aber nicht mehr aufzufinden, denn--sie hatte nie existiert. Daß nun dieser Traum - denn für das muß ich es halten - im Gehen sich ergab, ist das Wunderliche. Sonst ist mir eine Art von Träumen oder Entstehen von -willkürlichen Bildern, besonders abends, vom Lesen ermüdet, nichts Seltenes: Aber im Gehen und mit dieser Wirklichkeit trügenden Stärke ist es mir noch nie vorgekommen."

Quelle: Alfons Barb, Übersinnliches - Sagenhaftes aus dem Burgenländischen Bergland, in: Volk und Heimat, 1970/71, S. 4f (gekürzt), zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 221f.