Hartherzigkeit

Es war ein heißer Sommertag, an welchem, glühenden Pfeilen gleich, der Sonne Mittagsstrahlen auf die gebräunten Wangen eines aus dem tieferen Ungarlande kommenden Wanderers herabschössen, der ängstlich nach einer labenden Quelle spähte. Unfähig, seine ermatteten Glieder weiter zu bewegen, sank er unter dem Schatten eines laubreichen Baumes nieder, von wo aus er bald zwei Jünglinge gewahrte, welche mit frischem Wasser gefüllte Krüge trugen.

Gequält von brennendem Durste, flehte er nach dem heißersehnten Trunk, doch Spott und Hohn waren der Erfolg seiner Bitte. Vor seinen Augen stießen die Hartherzigen mit ihren Füßen die auf die Erde gestellten Krüge um, daß das Wasser die Kleider des armen Mannes bespritzte, und aus ihrem Mund kam der höhnende Fluch:

"Eher soll dieses Wasser zu einem unermeßlichen See heranwachsen und uns und alles vertilgen, als daß nur ein Tropfen deine Lippen befeuchte!"

Mit Tränen im Auge ging der Greis weiter. Und siehe! Brausende Wogen hatten in der Nacht die Menschen und den Segen ihres Fleißes von der Erde vertilgt, und ein See bedeckte von dem Tag an die Gegend, wo mutwillige Jünglinge die Bitte eines müden Greises mit Hohn zurückwiesen und dem weinenden Auge des Alters mit einem Fluch begegneten.


Quelle: Denkwürdigkeiten der königlichen Freistadt Ödenburg sowie auch sämtlicher Umgebung, Sigmund von Hárosy, München 1841, S. 23, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 197f.