Das Neusonntagskind

Auf dem Heideboden des Burgenlandes stehen die Sonntagskinder in großem Ansehen; sie gelten als Hellseher und Propheten. Wenn sie in einer Neumondnacht zur Welt kommen, heißen sie Neusonntagskinder. Die Hexen sind auf solche Menschen nicht gut zu sprechen, weil sie die Gabe haben, Hexen in der Nacht zu erkennen. Neusonntagskindern soll in der Nacht überhaupt viel Böses zustoßen.

Der alte Hundsmüller in Wörtherberg war ein solches Neusonntagskind und hatte durch die Verfolgungen der Hexen viel zu leiden. War er mit seinem Fuhrwerk nach dem Gebetläuten noch unterwegs, so konnte er sicher sein, daß die Hexen sich von allen Seiten an ihn herandrängten und ihn zu nötigen suchten, vom Wagen herabzusteigen; sie wollten ihn gern mit sich in die Keller schleppen, damit er mit ihnen dort Zechgelage feiere. Aber der alte Müller hütete sich, den Wagen zu verlassen oder auch nur ein Wort zu sprechen; denn er wußte ganz gut, daß er ihnen verfallen sei, wenn er nur einen Schritt vom Wagen weg tue oder ein Wort zu ihnen sage. Er mußte sich immer recht fest am Bock anhalten, um ihnen ja nicht nachzugeben. Später, als er schon gewitzigt genug war, machte er vor der Ausfahrt mit einem geweihten Messer, das er immer bei sich trug, das Kreuzzeichen vor den Pferden.

Hatte der immer durstige Müller aber einmal zu tief ins Glas geguckt und konnte er seine Zunge nicht im Zaum halten, so daß er beim abendlichen Heimweg auf die lästigen Quälgeister tüchtig zu schimpfen anfing, dann war er ihrem Bann verfallen, und sie säumten nicht, ihn ihre Überlegenheit ordentlich fühlen zu lassen und ihm den Ärger heimzuzahlen, den er ihnen durch seine Standhaftigkeit an anderen Tagen verursacht hatte. Da trieben sie nun ihr grausames Spiel mit ihm, hetzten ihn über Berg und Tal oder bestiegen seinen Rücken, um ihn als Pferd zu benützen, das sie zu den Kellern bringen mußte. Dort krochen sie beim Schlüsselloch hinein, soffen den Wein aus und füllten. Jauchewasser in die Fässer. Der arme Müller aber mußte inzwischen vor dem Keller im nassen Gras liegen bleiben, bis sie 'wieder herauskamen und ihn weiterquälten. Am Morgen nach einer solchen Schreckensnacht fand er sich dann in einem Graben liegen, irgendwo, stundenweit von Wörtherberg entfernt, müd und matt und mit zerschlagenen Gliedern. Und das kam oft vor; denn der Hundsmüller war einem guten Glas Wein nicht abgeneigt.

Wie nun der arme Mann sich gar nicht mehr zu helfen wußte und die Plage der Hexen immer ärger wurde, klagte er seinen Jammer einer klugen alten Frau. Diese gab ihm den Rat, auf den Friedhof zu gehen und von einem ausgegrabenen Sarg ein Stück Brett herauszuschneiden, das ein Astloch habe. Wenn er am Pfingstsonntag während der Messe bei der Kirchentür stehe und durch das Astloch blicke, werde er alle Hexen des Ortes, die ihn verfolgten, sehen und erkennen. Der Müller befolgte den Rat der alten Frau und sah durch das Astloch wirklich die Hexen, die zu seiner Überraschung Melkkübel und Butterfässer auf dem Kopf trugen.

Als ihn bei der nächsten abendlichen Fahrt die Hexen wieder überfielen und ihr Mütchen an ihm zu kühlen versuchten, nannte der Müller, der nun die Gabe besaß, die Hexen zu erkennen, jede einzelne Spukgestalt mit Namen, worauf sie bestürzt entwichen. Auch auf dem Tanzboden machte er sich das Vergnügen, die Hexen, die sich unter das tanzlustige Volk gemengt hatten, zu entlarven. Da fuhren sie vom Tanzboden aus und schwuren ihm bittere Rache. Doch der Müller war vorsichtig und trug nun stets sein geweihtes Messer bei sich; daher konnten ihm die boshaften Wesen nichts anhaben. Das ärgerte die Hexen so sehr, daß eine nach der ändern das Dorf verließ; nach wenigen Jahren war weit und breit keine Hexe mehr zu sehen.

Das hatte die Gegend dem Neusonntagskind zu verdanken.

Quelle: Sagen aus Österreich, Hildegard Pezolt, Wien 1948 (2. Auflage Wien 1950). zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 15f.