Pfarrer muß umgehen

Das hat meine Mutter erzählt. Unten in Ungarn war einmal eine Frau. Sie hat ein Kind geboren. Das ist überall üblich, nicht wahr, daß man nach vierzehn Tagen zur Kirche geht und der Pfarrer das Kind aufnimmt. Auch sie sind zur Kirche gegangen. Der Pfarrer sagt aber:

"No, jetzt hab'ich keine Zeit. Gehen Sie nach Hause und kommen Sie irgendwann mal wieder."

Ja, aber wenn eine Frau schon zum ersten Mal aus dem Haus hinausgeht, dann ist ihr erster Weg in die Kirche. Kurze Zeit darauf starb jener Pfarrer. Dort führte der Weg aus dem Dorf durch den Friedhof. Und wie diese Frau dort durch den Friedhof gegangen ist, sieht sie, nicht wahr, daß der Pfarrer ihr entgegengeht und seine Stola hält. Die Frau war erschrocken und fing zu schreien an. Sie lief nach Hause. Sie sagt ihrem Mann:

"Oh, mein Gott", sagt sie, "dieser Pfarrer kommt mir entgegen", sagt sie, "und hält mir die Stola hin."

"Ah was", sagt er, "das bildest du dir ein."

"Nein", sagt sie, "ich bilde mir nichts ein. Ich bilde mir überhaupt nichts ein. Komm", sagt sie, "komm auch du hinaus."

Tatsächlich, er ging mit. Der Mann hat aber nichts gesehen, nur die Frau. Die Frau stieß Schreie aus, er ist wieder zurückgekommen. Dann gingen sie zu dem anderen Pfarrer, und sie sagt ihm, wie die Sache ist. Er sagt:

"Sagen Sie mir, haben Sie etwas mit jenem Pfarrer zu tun gehabt?"

"Jaja", sagt sie, "damals, als ich ein Kind geboren habe, hat er, als ich in die Kirche gegangen bin, das nicht getan."

"Ah so, ah so", sagt er. "Schauen Sie", sagt er, "Sie sollen sich nicht fürchten. Ich gehe mit Ihnen auf den Friedhof", sagt er, "und wenn Sie sehen, daß er Ihnen entgegenkommt, sollen Sie niederknien und die Stola küssen."

Und tatsächlich hat die Frau so getan. Sie kniete nieder, küßte die Stola.

Der Pfarrer verschwand. Er kam ihr nie wieder entgegen.


Quelle: Angaben zu den abergläubischen Erzählungen aus dem südlichen Burgenland (Burgenländische Forschungen, H. 33), Karoly Gaal, Eisenstadt 1965, Nr. 220, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 269f.