Der Purbacher Türke
Purbacher Türke
© Harald Hartmann, August 2006
Im Jahre 1532, als die Türken neuerlich Wien belagern wollten, geschah es, daß sich einige der Horden in der Gegend des Neusiedler Sees herumtrieben. Eine Reiterschar gelangte auch nach Purbach. Als die Purbacher das Herannahen der Türken erfuhren, verbargen sie all ihr Hab und Gut und flüchteten in das nahe Leithagebirge, wo sie sichere Schlupfwinkel wußten. Die Türken fanden daher die Gemeinde ganz entvölkert. Da durchsuchten sie denn die Häuser und entdeckten manchen guten Bissen.
Ein türkischer Soldat kam in einen Weinkeller und gönnte sich einen guten Tropfen Purbacher. Er ließ ihn sich gut munden und trank so viel, daß er nur mehr taumelnd über die Stiege hinaufgehen konnte. Hierauf wollte er noch einiges im Haus suchen. Dabei kam er in eine Kammer und lehnte sich dort an einen Sack; denn seine Füße vermochten ihn kaum mehr zu tragen. Und nun schlief er ein.
Er schlief lange, und sein Schlaf hätte noch länger gedauert, wenn ihn nicht ein im Hofe überlaut geführtes Gespräch aufgeweckt hätte. Er horchte. Ja, das war nicht seine Muttersprache. Wo waren nur seine Kameraden? - Sogleich wurde ihm alles klar. Während er schlief, waren seine Kameraden abgezogen, die Bewohner hingegen heimgekehrt.
Im Nu versteckte sich der Türke, und daran tat er gut; denn gleich darauf wurde die Tür geöffnet, und es traten zwei Männer ein. Sie hielten Nachschau; da sie aber nichts Verdächtiges bemerkten, entfernten sie sich wieder. Der zu Tode Geängstigte atmete auf, wollte die Flucht aber nicht früher wagen, als bis es ganz finstere Nacht und ruhig geworden wäre.
Erst dann wagte er sich aus seinem Versteck hervor. Er tastete an den Wänden herum und fand eine Tür, die Küchentür, die er jedoch nicht öffnen konnte. Während des Herumschleichens in der Küche bemerkte er, wie der Mond so freundlich durch den Schornstein hereinschien. Der Mann dachte bei sich:
"Vielleicht kann ich auf diesem Weg hinaus?"
Er stieg auf den Herd; aber es war ihm nicht möglich, die oben im Rauchfang querliegenden Stangen zu erreichen. Daher kehrte er in die Kammer zurück und suchte nach einem Strick - und richtig fand er einen. Diesen warf er nun über die Stangen und half sich so hinauf. Mühsam erreichte er den obersten Teil des Rauchfanges, bis er endlich seinen Kopf hinauszustecken vermochte.
Er war froh, daß er endlich frei atmen konnte. Als er aber Umschau hielt, wie er hinuntergelangen könnte, hörte er draußen von der Gasse ein Laufen und Schreien.
"Haben sie mich vielleicht entdeckt?" dachte er.
Wie eine Schnecke zog er seinen Kopf zurück und wartete, was nun geschehen -werde. Nicht lange, da öffnete man unten im Haus die Tür. Die herbeigeeilten Bauern deuteten aber jetzt unter zornigen Rufen nach dem Rauchfang. Der gefangene Türke wollte hinausklettern, um zu entfliehen. Kaum hatte er jedoch seinen Kopf beim Rauchfang hinausgesteckt, da sah er mit Entsetzen, daß die Gasse voll bewaffneter Bauern war. Sie schrien und drohten ihm mit den Fäusten.
Da zog er sich wieder in den Rauchfang zurück und rührte sich nicht, trotzdem sie ihm später zuredeten und ihn ermunterten herunterzusteigen.
Zuletzt gab einer den Rat, man möge den Flüchtling ausräuchern. So geschah es auch. Man machte Feuer, der Rauch wurde dem Türken unerträglich, und da mußte er aus dem Rauchfang heraussteigen. Man holte ihn nun mittels einer Leiter von dem Dach herab und führte ihn in das Gefängnis.
Jetzt versammelte sich der Gemeinderat, um zu beraten, was mit dem Soldaten geschehen solle. Das Urteil lautete: Es geschieht ihm nichts, wenn er den christlichen Glauben annimmt. Damit er aber der Gemeinde nicht zur Last fällt, wird er dem Besitzer des Hauses, in dem er gefangen wurde, als Knecht ins Eigentum übergeben.
Der Türke war mit dem Urteil zufrieden. Er ließ sich taufen, lernte Deutsch und blieb fortan im Haus seines neuen Herrn.
Nach dem Tod seines Knechtes ließ der Bauer einen Türkenkopf aus Stein meißeln und setzte diesen auf den gleichen Rauchfang, wo der Türke gefangen worden war. Der Purbacher Türke, so wurde das Steinbild genannt, ist heute noch am Haus 163 in Purbach zu sehen.
Purbacher Türke
© Harald Hartmann, August 2006
Quelle: Lesebuch für die burgenländischen Volksschulen, Adolf Parr, Teil II, Wien/Leipzig 1929, S. 191f, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 156ff.