Das Schilfmandl
Schilfmandl Neusiedlersee © Harald Hartmann
Schilf am Neusiedlersee (Burgenland)
© Harald Hartmann, März 2006

In Urgroßvaters Zeiten, als es noch keine Autos und Flugzeuge gab, hausten am Neusiedler See harmlose Wassermänner. Sieben sollen es gewesen sein.

Einer von ihnen trieb sich bei Gols umher. Er war ein besonders häßlicher Geselle, daß alle, die ihn sahen, vor Abscheu einen Bogen um ihn machten, damit sie ihm nicht zu nahe kamen. Man nannte ihn das "Schilfmandl", denn er hielt sich am liebsten im Schilf auf und trug einen Bart, der ihm bis zum Bauch hinabhing und so grau wie das Schilf war.

Wennjahrmarkt war, kam er ans Ufer und mischte sich unter die Menschen. Man erkannte ihn aber leicht, weil ihm aus dem linken Ärmel seines schmutziggrünen Rockes immerfort Wasser tropfte. Da er gutmütig war und niemandem etwas zuleide tat, ließ man ihn in Ruhe.
So lebte das Schilfmandl viele Jahre ungestört im Schilf, aber keiner wußte, wovon es sich nährte und kleidete.

Einmal ritt ein vornehmer Edelmann durch den Wuterwald bei Gols, und es überraschte ihn dabei ein schweres Gewitter. Es regnete so stark, daß sich kleine Gräben im Nu in reißende Wildbäche verwandelten.

Der vornehme Reiter trieb seinen Schimmel an, um einen schützenden Ort zu erreichen. Ein breiter Wildbach, den das Tier nicht überspringen konnte, hemmte seinen Lauf. Der Reiter mußte vom Pferd steigen und einen großen Felsblock in das Wasser wälzen.

"Nun zeig, was du kannst!" sagte er, während er wieder in den Sattel kletterte.

Schnaubend stieg das Pferd in die Höhe, erreichte auch die Steinplatte, glitt aber aus und stürzte mitsamt dem Reiter in das Wasser. Beide wurden von der Strömung mitgerissen und versanken in den tobenden Fluten.

Später legte das Schilfmandl einen Blumenstrauß auf den Felsblock, der heute noch zu sehen ist. Auch die Hufabdrücke kann man noch erkennen.

Von den Hufen des Schimmels hat das Schilfmandl bisher drei gefunden. An dem Tag, an dem es den vierten findet, wird die Welt untergehen. a)

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Wenn man von Gols (am Neusiedler See) aus durch die Weingärten in den sogenannten Wuterwald kommt, so sieht man rechts vom Fußweg einen Felsblock, den sogenannten Hufstein, in der tiefen Schlucht des Wildbaches stehen. Auf der Spitze desselben ist ein hufeisenförmiger Eindruck, von dem man sich folgendes erzählt:

Als einst der Wilde Jäger mit seinem Pferd jagte, kam ein furchtbares Gewitter, und der Wilde Jäger gab seinem Pferd die Sporen. Als er aber über den Wildbach nicht setzen konnte, wälzte er den Felsblock in das Wasser, setzte mit einem Sprung auf den Fels, und Jäger und Roß wurden von den Wellen verschlungen. Das hatte der Wassermann bewirkt, und froh darüber, daß er Rache genommen an dem Reiter, sandte er einen Blumenstrauß aus der Tiefe, welcher aber von den Wellen auf den Fels geschleudert wurde, wo er noch heute versteinert gesehen wird. Nur den vierten Huf des Rosses hat der Wassermann nicht finden können, darum sucht er ihn noch bis zum heutigen Tage. b)


Quelle: a)Burgenland - Sagen und Legenden, Friedrich Schattauer, Waidhofen, 1980, S. 64f, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 264ff.
b) Vernaleken, S. 24, zit. nach ebenda.