Der Student

Ich hab' einmal gehört vom Burgenland. Da war eine arme Frau, die hat einen Sohn gehabt. Der Sohn hat geheiratet, und die Schwiegertochter konnte die Schwiegermutter nicht leiden. Es waren arme Leute. Die alte Frau hat eine Kuh gehabt, und jedes Jahr hat die Kuh gekalbt. Und wenn das Kalb auf die Welt gekommen ist, war das Kalb hin. Und nur das war ihre Einnahme. Sie hat ja sonst nichts verdienen können.

Na, dann einmal am Heiligen Abend kommt ein junger Herr ins Haus und sagt, ob er dort übernachten kann. Sagt die alte Frau: "Na ja, bleib'n S' halt da." Er ist ein armer Student, er kann nicht nach Haus, er soll übernachten bei der Frau.

Jetzt fragt der Student die alte Mutter: "Sag'n S' mir, warum sind Sie so traurig?"

Sagt sie: "Jetzt wird wieder meine Kuh kälbern, und jedes Jahr ist mir das Kalb hin. Und ich freu mich, weil ich dann bissl' ein Geld krieg, wann ich das Kalb verkaufen tu."

Er sagt: "Ich werd' Ihnen was sagen. Gehen Sie zum Schuster, lassen Sie ein Paar Schuhe machen, mit Stiefeln. Ich geb Ihnen einen Zettel, ich schreib was, und das muß der Schuster einnähen. Aber lesen darf das niemand. Und wenn Sie in den Stall gehen zu dieser Kuh, ziehen S' die Stiefel an. Und wenn das Kalb einmal da ist, dann kochen S' dem Kalb Weizen, und Milch müssen S' dem Kalb geben. Das Kalb wird nicht hin. Und dafür müssen Sie mir zwanzig Taler zahlen. Für diesen Zettel."

Ja, die Frau hat eingewilligt, sie hat die zwanzig Taler gegeben. Na, und dann ist der Student am nächsten Tag fort.

Wirklich, wie das Kalb auf die Welt gekommen ist, die Frau ist ohne die Stiefel nicht in den Stall gegangen. Sie hat das gemacht, was der Student gesagt hat. Es ist wirklich das Kalb am Leben geblieben. Na, und die Frau, sie hat gebetet, sie war so bigott, aber am Sonntagnachmittag ist sie unter den Galgen gegangen. Weil dort war ein Galgen, wo sie die Leute aufgehängt haben. Und sie hat alleweil die kleinen Kinder mitgenommen, die dort beten mit ihr, für die, die dort aufgehängt waren und waren nicht schuldig.

Und bevor der Student fort ist, hat sie schon mit Weihwasser die ganze Mauer angespritzt, weil sie hat gedacht, der Student kann so eine Hexerei machen. Jetzt ist Hexerei im Haus. Aber es war nichts, es wird alles gut.

Na, eines schönen Tages schreibt die Schwiegertochter dem Bischof einen Zettel, daß die Schwiegermutter eine Hexe ist. Und damals sind die Hexen alle auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Wirklich, es sind bald einige Männer gekommen und haben gesagt: "Frau, Sie sind eine Hexe. Sie werden verbrannt!"

Ja, und wirklich ist die Frau zum Gericht gekommen. Fragt der Bischof, der war der Richter: "Sind Sie eine Hexe?"

"Ja!"

Sagt der Bischof: "Jede Frau sagt, ich bin keine, und Sie sagen, Sie sind eine. Was machen Sie? Was machen Sie unter dem Galgen?"

Sagt sie: "Ich tu für die beten, die unschuldig aufgehängt worden sind. Mit den Kindern hab' ich keine Hexerei gemacht. Aber einmal ist ein Student gekommen am Heiligen Abend, und dem hab' ich mein Leid erzählt. Und er sagt, ich kann Ihnen helfen, wenn Sie mir zwanzig Taler geben. Und ich sag': Ja, ich geb Ihnen das."

"Und was", fragt der Bischof, "und was war dann weiter?"

"Er hat mir ein' Zettel g'schrieben, ich mußte mir einen Schuh machen lassen und den Zettel hineingeben, ohne daß den Zettel jemand angeschaut hat. Und mußte der Schuster wieder alles zusammennähen."

Fragt der Bischof: "Wo sind die Schuhe jetzt?"

"Ich hab' sie an."

Sagt der Bischof dort zu einem Herrn: "Ziehen Sie der die Schuhe aus, der Frau."

Er zieht ihr die Schuhe aus, sie haben sie aufgemacht, da war der Zettel drin.

Es waren zwölf Pfarrer-Geschworene und der Bischof. Jetzt fängt der Bischof zu lesen an: "Ist das Kalb nicht schwarz, dann ist es rot, lebt das Kalb nicht, ist es tot."

Das war der Bischof, Student damals am Heiligen Abend. Und dann haben sie die Frau freigelassen, sie hat sehr viel Geld gekriegt, und die junge Schwiegertochter ist dann auf den Scheiterhaufen hingekommen, und sie haben die Schwiegertochter verbrannt.

Quelle: Angaben zu den abergläubischen Erzählungen aus dem südlichen Burgenland (Burgenländische Forschungen, H. 33), Karoly Gaal, Eisenstadt 1965. zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 21ff.