Der Teufelskirnstein

Im Eichenwalde am Scheibenberg bei St. Jörgen hauste vor Zeiten ein einschichtiger [einsam, allein] Teufel. Dieser ward, weil er auf Abwege geraten war, aus der Hölle gestoßen und mußte sich nun recht und schlecht auf der Erde durchbringen. Er nannte eine lahme Kuh und eine blinde Geiß sein eigen und nächtigte mit diesen unter einem Felsblock, dem Teufelskirnstein.

Abends, wenn die scheidende Sonne dem steinalten Schneeberg fürsorglich eine rote Schlafhaube aufsetzte und über die Seehügel einen violetten Mantel warf, stieg der Teufel auf den Felsblock und lockte mit lautem Geschrei und Peitschenknallen seine weidenden Haustiere heran. Als Peitsche benützte er eine drei Klafter lange Schlange. Das wilde Rufen und Knallen machte die heimkehrende Herde der St. Jörger gar oft störrisch, manche Milchkühe gaben keine Milch. Die Leute ärgerten sich darum baß über den dummen Teufel und wünschten ihn in die Hölle.

Einmal, als einige ältere Bauern im Wirtshaus beisammensaßen und vor Langeweile auf den Störenfried des Dorfes zu sprechen kamen, trat ein armer, alter Fremder ein und nahm müde und bescheiden bei dem Bettlertisch Platz.

"Woher des Weges, Vetter?"

fragte ihn der anwesende Bürgermeister.

"Ich komme aus der Türkei", sprach der Alte, "aus langer Gefangenschaft. Als junger Bursche zog ich in des Kaisers Heer gegen die Heiden. Meine Wiege stand im Schwabenland, mein Leben verbrachte ich angeschlossen an der Ruderbank eines türkischen Schiffes."

"Und was gedenkt Ihr jetzt zu unternehmen?"

"Ich möchte meine Ketten, die ich aus der Gefangenschaft mitbrachte, der heiligen Maria zu Loretto opfern und dann hier die wenigen Jahre, die mir von Gott beschieden, verbringen. In meine Heimat ist es mir zu weit, auch kennt mich dort niemand. Als Einsiedler meine Tage zu beschließen, dünkt mir das beste."

Der Bürgermeister flüsterte eifrig mit seinen Leuten, endlich nickten diese mit dem Kopfe.

"Gevatter", ließ sich der Bürgermeister vernehmen. "Ihr könnt in St. Jörgen bleiben, die Gemeinde stellt Euch Steine und Holz bei, baut damit Eure Einsiedelei; zum Dank für unser Entgegenkommen vertreibt unseren dummen Teufel, von dem Ihr vielleicht schon gehört habt."

Der weißbärtige Alte nahm das Anerbieten freudig an und machte sich anderen Tages an die Arbeit. Auf seiner Baustätte hinter dem Scheibenberg empfing er bald den Besuch des Teufels. Was er hier mache, erkundigte sich dieser.

"Im Auftrag der Gemeinde bau ich Euch Wohnung und Stall", erwiderte schalkhaft der Alte.

Dessen freute sich der Teufel und vollbrachte abendlich einen noch höllischeren Lärm als sonst. Endlich war der Bau fertig. Heimlich wurde ein Glöcklein geweiht und in die Einsiedelei gebracht. Als der Teufel, auf dem Felsblock stehend, wieder seine seltsame Peitsche schwang, ertönte das feine Stimmchen des Glöckleins. Der Teufel schrie auf, schlug ein Zigeunerrad und lief davon auf Nimmerwiedersehen.

Aus den Fußstapfen des Teufels am Felsblock sprießen hellgrüne Farnblätter, etliche moosüberwachsene Grundsteine deuten die einstige Klause an. "Hier stand die Tschigerlkapelle", sagen die Pilger, wenn sie durch den taufrischen Wald nach Maria-Loretto ziehen.

*

Der Kirnstein (auch Teufelsstein) ist ein gern besuchter Aussichtspunkt im Wald in der Nähe der Sebastiensäule. Hier hauste vor vielen Jahren der Teufel und schnalzte mit einer langen Schlange. Er wurde durch einen Einsiedler vertrieben, doch sieht man heute noch die Fußspuren des Teufels im Stein.


Quelle: Burgenländische Sagen, Adolf Harmuth, in: Der freie Burgenländer, Nr. 4 vom 16. n. 1924, S. 15, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 77ff.