Der Totenritt

Ein Bursche, der mit einem Mädchen aus seinem Dorfe verlobt war, wurde Reitersoldat, kehrte lange Jahre nicht heim und fiel schließlich in einer Schlacht. Daheim aber, wohin die Kunde von seinem Tode nicht gelangt war, wartete noch immer die treue Marie auf ihn.

In einer mondhellen Nacht, als Marie schon im Bette lag, kam ein Reitersmann auf schneeweißem Schimmel vor ihr Fenster geritten und rief hinein:

"Marie, ich bin's, dein Josef! Steh auf und geh mit mir!"

Marie eilte hinaus, er hob sie aufs Pferd und ritt schnell wie der Wind von dannen. Der Mond schien hell, und der Reiter fragte das Mädchen:

"Wie scheint der Mond so hell, wie reiten die Toten so schnell! Marie, fürchtest du dich nicht?"

"Warum soll ich mich fürchten? Gott und du sind bei mir!" erwiderte gefaßt das Mädchen.

Und alsbald erreichten sie einen Friedhof. Josef ritt hinein, sprang ab und verschwand mit seinem Rosse in einem Grabe. Da erkannte die Maid mit Grauen, daß ihr geliebter Josef tot sei und ihre große Sehnsucht und ihr Gebet sein Erscheinen herbeigeführt habe. Er hätte sie zu sich ins Grab gezerrt, wenn sie nicht den Namen Gottes ausgesprochen hätte.

Als es zu tagen begann, sah sich die Maid vor einer fremden Stadt. Sie fand dort Menschen, die ihre Sprache nicht verstanden, bis man sie zu einem Küster wies, der deutsch sprechen konnte. Er sagte ihr, daß sie fern von ihrer Heimat sei, und beschrieb ihr den Weg, auf dem sie nach Hause gelangen könne. Nach einer mühevollen Wanderung erreichte sie endlich ihr Heimatdorf und trug gottergeben ihr hartes Schicksal.


Quelle: Schwänke, Sagen und Märchen in heanzischer Mundart, Johann R. Bünker, Graz 1981 (ergänzte Auflage von 1906, hrsg. v. K. Haiding), Nr. 42, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 91f.