Die Tyrannin auf Schloß Forchtenstein
Burg Forchtenstein, Burgenland © Harald Hartmann

Burg Forchtenstein
© Harald Hartmann, Jänner 2007

Auch eine Fürstin, Gemahlin eines der früheren Besitzer aus dem Stamme Giletus, soll hier den schrecklichen Hungertod, schwebend über der Tiefe, auf einem Querholz sitzend, und mit Stricken festgegürtet, erlitten haben. Die Sage nennt sie Rosalia und beschreibt sie als ein leidenschaftlich blutdürstendes, geiziges Weib, die in Abwesenheit ihres Gemahles unerhörte Freveltaten beging, Leibeigene und Untertanen mit unerschwinglichen Gaben belastete, Zahlungsunfähige, und solche, die ihren Zorn erregt hatten, in den Hungerturm werfen ließ und Schätze auf Schätze sammelte.

Als der Fürst, ihr Gemahl, vom Feldzuge heimkehrte, tönten ihm überall die Klagen der gemarterten, mißhandelten Bedrückten entgegen. Er gelobte, furchtbares Gericht zu halten.

Als der Turmwärter von hoher Zinne des Herren Ankunft verkündete, warf sich Rosalia in vollsten Staat und eilte dem Gemahle entgegen, der sie liebend empfing, sie öffnete ihm die Kammern und zeigte dem Erstaunten die Schätze, die sie so klug gesammelt und reich aufgespeichert hatte, und er schien zufrieden mit der regsamen fleißigen Wirtin.

Ein großes Mahl versammelte die Ritter und Herren, die in seiner Gesellschaft gekommen waren, im prunkenden Saale, und als der Becher wacker die Runde gemacht und der Fürst die neben ihm sitzende Hausfrau ihrer Tugenden und Milde wegen oft belobt und umarmt hatte, brachte er die Rede auf eine Tyrannin, die er in fernen Reusenlanden [Rußland] kennengelernt hatte, und erzählte den Herren alles so, wie er es über seine Hausfrau aus der Bedrückten Munde bereits gehört hatte. Alle verdammten das schändliche Weib, und auf seine Frage, was sie verdiene, stimmten alle für den Tod;

"und du, treue milde weiche Frauenseele, unfähig, solchen Greuel zu fassen und zu denken, was sprichst du über eine solche Tyrannin aus?" fragte der Fürst seine Gemahlin.

Wohl zuckte ein Blitzstrahl durch ihr Gehirn und schnürte ihr das Herz im Leibe zusammen, als sie in der Erzählung ihres Herrn den Spiegel ihrer eigenen Untaten sah, aber im Vertrauen, daß er davon keine Ahnung habe, in der Hoffnung, sich bald nach der Tafel samt ihren Schätzen in der Flucht über das Gebirge zu retten, und sich um keinen Preis verraten wollend, bemeisterte sie die Gefühle in ihrem Innern und sprach mit lauter Stimme:

"Ich ließe sie, auf einem Knebel sitzend, in einem turmhohen Brunnen schwebend verhungern!"

"Du hast dein Urteil gesprochen, es soll dir werden", erwiderte der Fürst zornflammend, "auf, ihr Herren! Ihr sollt Zeuge sein, wie Giletus sein den Bedrängten gegebenes Wort löst und Gericht hält; fort in den Hungertod mit der schändlichen Tyrannin!"

Sogleich ward das schreckliche Gericht vollzogen. In den finstern gähnenden Schlund des schwarzen Turmes wurde Rosalia hinabgelassen, wo sie über den vermoderten Überresten ihrer Opfer schwebte, unter sich das grünäugige, zischende und pfeifende Ungeziefer des Abgrundes, über sich ein schmaler spärlicher Lichtstreif, der sich durch ein enges Fensterloch stahl. Und zujeder Viertelstunde mußten die Wachen hintreten zur Öffnung und rufen: "Sallah he!"

Sieben Tage erhielten sie wimmernde Antwort, am achten Tage war es still geworden in der schauerlichen Gruft, aber allnächtlich wandelte der Geist der Burgfrau um den schwarzen Turm, bis ihr Gemahl durch Erbauung der Rosaliakapelle auf dem davon benannten Berge im Rücken der Veste ihre Seele gesühnt hatte. a)

*


Rosalie, die Gattin des friedliebenden Fürsten Giletus von Forch-tenstein, war eine grausame Frau. Als der Fürst einmal in den Krieg gezogen war und Rosalie sich als selbstherrliche Burgfrau fühlte, bedrückte sie die Bauern in der herzlosesten Weise, und viele von ihnen fanden im schwarzen Burgturm den Hungertod.

Als Giletus nach Jahren aus dem Kriege heimgekehrt war, klagten ihm die unterdrückten Bauern ihr Leid. Giletus versprach ihnen, von seiner Frau strenge Rechenschaft zu fordern. Bei einem Festmahle erzählte der Fürst in Gegenwart seiner Frau den Gästen, daß er im fernen Lande eine gottlose Frau kennengelernt habe, die ihr Volk herzlos behandelt hätte, und wußte dazu noch allerlei Übeltaten beizufügen, die er von seinen Bauern über Rosalie erfahren hatte. Dann fragte er die Gäste, welche Strafe ein so rohes Weib verdiene. "Den Tod!" war die einstimmige Antwort. Und als er darauf Rosalie selbst fragte, wie sie eine solche Frau bestrafen würde, antwortete sie kaltblütig:

"Ich würde sie auf eine Querstange anbinden und in einem tiefen Schacht verhungern lassen."

Da erhob sich Giletus und sagte: "Salah, du hast dein eigenes Urteil gesprochen!"

Die grausame Burgfrau wurde an ein Seil gebunden, in den schwarzen Turm hinabgelassen, wo sie, über den Leichen ihrer Opfer schwebend, verhungern mußte. Jede Viertelstunde trat die Burgwache vor eine Turmluke und rief hinunter: "Salah he!"

Und allemal drang ein herzzerreißender Schrei aus der Tiefe empor. Am achten Tage aber war es im Turm stille geworden.

Seitdem erschien zu mitternächtiger Stunde Rosalias Geist gespenstig leuchtend um den schwarzen Turm von Forchtenstein. Jahre - und jahrhundertelang trat dann allemal die Burgwache ins Gewehr und rief zum Turme in gedehntem Tone: "Salah he!", worauf der Spuk verschwand. Erst als im 15. Jahrhundert ein Burgherr zur Sühne auf einem nahen Berge die Rosalienkapelle erbauen ließ, war der Geist der Burgfrau für immer erlöst.

Nach einer anderen Überlieferung ließ der Burgherr seine herzlose Frau in einem Gewölbe des schwarzen Turmes einmauern. Als man nach Jahrhunderten das Gewölbe aufbrach, soll man darin ein Skelett gefunden haben. b)

Quelle: a) Forchtenstein (Frankno). Historisch-topographische Beschreibung, Ferdinand Botgorschek Wiener Neustadt 1852 S. 7ff., zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 106ff.
b) Adolf Parr und Ernst Löger, Sagen aus dem Burgenland, Anton Mailly Wien/Leipzig 1931, Nr. 74, zit. nach ebenda