Der Waasen-Steffel

Am 15. März 1749 legten zwei Fischer im Königssee ihre Netze aus und gingen dann in den Erlenwald jagen. Als sie zu ihren Netzen zurückkamen, erschraken sie nicht wenig, in ihnen ein tierisch wild dreinblickendes menschliches Wesen zu sehen. Es war ein Knabe, ungefähr zehn Jahre alt. Er hatte einen starken und gutgenährten Körper, einen großen runden Kopf, kleine rollende Augen, langgestreckte Gliedmaßen, lange Finger und Zehen und eine harte, schuppige Haut. Die Fischer brachten ihn in das Schloß Kapuvar, und er erhielt bei der Taufe den Namen Stephan. Man richtete den wilden Knaben zum Wasserholen und zum Bratenwenden ab, doch blieb sein Benehmen tierisch. Er sprang gerne ins Wasser und duldete keine Bekleidung. Nur der Tochter des Schloß Verwalters gelang es, auf das unvernünftige Wesen besänftigend einzuwirken.

Über ein Jahr hatte Steffel im Schlosse gelebt. Da fand die Hochzeit der Tochter des Verwalters statt, und man vergaß, auf Steffel achtzugeben. Er entwich seinen Wächtern und blieb seither verschwunden. a)

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Nach einem strengen, schneereichen Winter hatte Tauwetter eingesetzt. Das Wasser stieg in den Tümpeln, und der "Waasen", die sumpfige Gegend längs des jetzigen Einser-Kanals und der Kiemen Raab, glich einem mit Röhricht und Erlenwäldern geschmückten See.

Zwei Fischer, Franz und Michael, holten an einem schönen Morgen im März 1749 ihre Zille (Boot) hervor, legten das Fischnetz, ihre Gewehre und einen Ranzen mit Lebensmitteln hinein und schoben mit langen Stangen das Fahrzeug hinaus in den Königssee.

Zwischen Erlen, Schilfdickicht und torfigen Waasenhügeln waren sie in dem schmutziggelben Wasser schon eine gute Weile gefahren und suchten sich nun eine fischreiche Stelle aus. Sie waren lustig, denn sie hofften einen guten Fang zu tun. Franz begann von den Wassermännlein zu erzählen und behauptete, daß er schon selber einmal einen solchen Wasserteufel gesehen habe. Michael, sein jüngerer Kamerad, glaubte aber nicht daran.

Bald hatten sie das große Netz ausgeworfen und befestigt. Dann nahmen sie die Gewehre, stiegen auf einer Insel vorsichtig aus und gingen in den Erlenwald hinein. Nur Leute, die sich gut auskannten, durften es wagen, auf den schwankenden Waasen zu treten. Ein Fehltritt - und man war verloren.

In kaum einer Stunde hatten die beiden ein paar Trappen und einige Wildenten erlegt und kehrten nun zu ihrer Zille zurück, um zu sehen, ob sie etwas gefangen hätten. Die starke Bewegung des Schwimmholzes am Netze deutete daraufhin, daß ein großer Fisch gefangen war.

Mit einiger Anstrengung zogen sie das Netz ans Ufer, als Franz plötzlich einen Schrei ausstieß und sich entsetzt an einen Baum anlehnte.

"Was gibt's?" fragte der andere, "du machst ja ein Gesicht, als ob du einen Drachen oder den Teufel gesehen hättest."

"Er ist's auch, der Wasserteufel", sagte stotternd der Franz.

Erst jetzt trat Michael hinzu und besah sich den Fang. Eine menschenähnliche Gestalt lag im Netz, riß und zerrte an den Maschen, um sich loszumachen.

Auch Michael erschrak und griff nach seinem Gewehr. Franz packte ihn beim Arm und sagte leise:

"Schieß nicht, denn der Teufel ist unverwundbar."

Als die beiden sich nach einiger Zeit von ihrem Schrecken erholt und durch ein Gebet gestärkt hatten, getrauten sie sich erst, diese wunderliche Gestalt genau anzusehen. Sie beschlossen, sie heimzubringen.

Furchtsam und lautlos lag der Gefangene im Netz, in dessen Maschen er sich ganz verwickelt hatte.

Die Fischer besahen nun ihre Beute genauer. Das Männchen hatte die Größe eines zehnjährigen Knaben, sein Körper war mit Schlamm überzogen. Zwischen den Fingern hatte es eine Schwimmhaut, an seinen Fingern und Zehen waren lange, krallenartige Nägel sichtbar. Der breite Kopf war mit zottigen Haaren bewachsen, die Stirn schmal, die Augen waren klein. Hinter den blauen Lippen sah man zwei Reihen starker, weißer Zähne.

Die beiden Fischer banden nun das Netz um den Wehrlosen noch fester und ruderten voll Freude über den seltenen Fang heimwärts.

Sie brachten den Wassermann ins Schloß, wo sie vom Fürsten eine reiche Belohnung erhielten. Von weit und breit kamen die Leute, um das Wunder anzustaunen.

Die ersten Tage wollte das Wassermännlein überhaupt nichts essen, später aß es nur Gras, Wurzeln, Schnecken und allerlei Wassertiere. Kleider duldete es keine auf sich. Es war scheu und furchtsam und lag stundenlang ruhig blinzelnd in einem Winkel seiner Kammer, wo man es eingesperrt hatte.

Erst nach längerer Zeit konnte man das Männchen daran gewöhnen, Hose und Hemd zu tragen. Hut und Schuhe hat es stets verschmäht. Es wurde auch getauft und erhielt den Namen Stephan.

Nach langer Zeit lernte er einige Wörter sprechen und konnte zum Wassertragen und anderen kleineren Arbeiten verwendet werden. Er aß auch schon gekochte Speisen.

Am glücklichsten war er, wenn er zum Schloßteich gehen durfte. Da sprang er samt den Kleidern hinein und fing Frösche, die er begierig verschlang.

Über ein Jahr hatte Steffel im Schloß gelebt. Da war einmal Hochzeit, und man vergaß, auf ihn achtzugeben. Die Gäste saßen bereits im Saal an der langen Tafel und aßen und tranken. Da drängte sich Steffel vor Freude grunzend durch die Tür hinein. Er trug einen Korb in der Hand und ging auf das Brautpaar zu. Auch er wollte der Braut, der Tochter des Verwalters, ein Geschenk bringen. Sie war immer gut zu ihm gewesen. Er war ihr oft auf Schritt und Tritt gefolgt und hatte sich gefreut, wenn sie zu ihm redete.

Steffel verbeugte sich vor der Braut, dann leerte er den Inhalt seines Korbes auf den Tisch. Frösche, Eidechsen, Blindschleichen und einige junge Entlein hatte er gefangen und der Braut gebracht.

Das Getier lief und sprang über den Tisch in die Schüsseln und Teller. Die Gäste sprangen auf und schrien. Groß war der Tumult und die Bestürzung.

Unterdessen lief Steffel in den Park hinaus, sprang in den Teich und schwamm durch den Wassergraben in die Tümpel und Seen des "Waasen".

Und nie mehr ward er gesehen.


Quelle: Anton Mailly, Adolf Parr und Ernst Löger, Sagen aus dem Burgenland, Wien/Leipzig 1931, Nr. 92, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 253ff.
b) Lesebuch für die burgenländischen Volksschulen, Adolf Parr, Teil II, Wien/Leipzig 1929, S. 186ff, zit. nach ebenda.