Der Wasenmeister

In Rechnitz wohnte vor mehr als hundert Jahren ein Bauer, der hatte eine offene Wunde an der Hand, die nicht zuheilte, furchtbar schmerzte und ihn bei der Arbeit behinderte.

Ein Nachbar riet ihm eines Tages, nach Lippart zum Wasenmeister [Schinder] zu wandern. Der sei ein Hexenkünstler und Zauberdoktor, der alle Krankheiten heilen könne, nur müsse man zu Fuß zu ihm gehen, auf keinen Fall dürfe man fahren.

Der Bauer machte sich also auf den Weg. Er kam am ersten Tag bis Steinamanger, am zweiten nach Lippart.

In einem Wirtshaus stärkte er sich mit einem Viertel Wein. Danach fragte er den Wirt, wo er den Wasenmeister erreichen könne.

Der Wirt zeigte auf einen Gast, der an einem der Tische aß, und sagte: "Dort sitzt er zufällig. Geht nur hin zu ihm und redet ihn an."

Als der Wasenmeister den fremden Bauern mit der eingebundenen Hand auf sich zukommen sah, meinte er: "Da kommt auch einer auf meine Gnad'!"

Der Bauer deutete auf seine verletzte Hand und sagte: "Ich komme wegen meiner Hand und tat' schön bitten, daß Ihr mir helft!"

Der Wasenmeister nickte. Er warf einen kurzen Blick auf die wehe Hand und sprach, während er sich von seinem Platz erhob: "Kommt mit in meine Wohnung. Gelitten habt Ihr schon genug."

Er geleitete den Bauern in sein Haus, das ganz am Ortsende stand. Der Bauer versprach ihm unterwegs die halbe Wirtschaft, wenn er ihm helfen könne.

"Ach was", erwiderte der Wasenmeister mit einer wegwerfenden Handbewegung. "Ihr braucht mir gar nichts zu geben. Ihr werdet gesund nach Hause gehen."

In der großen Stube des Wasenmeisters mußte sich der Bauer an einen klobigen Tisch setzen und den Arm freimachen. Der Wasenmeister besah sich die Wunde, nickte mehrmals mit dem Kopf und sagte: "Wie ich mir's gedacht habe, das Ganze ist bloß eine Hexenkrankheit. Sie haben es auf Euch abgesehen und wollen Euch Böses zufügen, aber denen werden wir die Suppe versalzen! Sagt mir nur, wie ich die Hexen, die Euch das Leid angetan haben, bringen lassen soll: auf Disteln und Dornen oder auf Krücken?"

Der Bauer kratzte sich hinter dem Ohr. Dann meinte er: "Auf Disteln und Dornen her und auf Krücken heim!"

Kaum hatte er das gesagt, standen zwei Dutzend Hexen da, alle aus Rechnitz. Sie mußten ihm nun Abbitte leisten und schwören, daß sie ihn fortan in Ruhe lassen würden. Er versprach ihnen dafür, keine zu verraten.

Als die letzte Hexe ihren Schwur geleistet hatte, war die Hand des Bauers geheilt, und er konnte froh und unbeschwert nach Hause wandern, während die Hexen mühsam auf Krücken heim humpeln mußten. Das war die Strafe für ihre Boshaftigkeit.


Quelle:Adolf Parr und Ernst Löger, Sagen aus dem Burgenland, Anton Mailly Wien/Leipzig 1931, Nr. 57, S. 96, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 13f.