Das Bild im Weichselbaum

Im Weichselbaum war nie eine Kirche. Einmal aber fanden die Leute auf einem Eichenbaum (auch Weichselbaum!) im Wald ein Marienbild, dessen Herkunft niemand erklären konnte. Da es vom Dorfe sehr entfernt war, wurde es in das Tal heruntergebracht und dort auf einen Baum gehängt. Als man aber am anderen Tage es anschauen wollte, war es verschwunden. Man ging es aufsuchen, und es war wiederum an jener Stelle, wo es früher war. Nun wurde es wieder heruntergebracht und auf den gleichen Baum, wo es am vorhergehenden Tag war, aufgehängt. Aber auch jetzt spielte sich die gleiche Begebenheit ab wie gestern.

Das außerordentliche Ereignis wurde nun zu allgemeinem Gespräche im Dorf. Man setzte sich zusammen, ratschlagte und löste folgendermaßen den Knoten: Das Bild sollte nochmals herabgeholt werden, und vor den Wagen sollten zwei solche junge Zugtiere gespannt werden, die noch nie von einem Joch oder Jöchel berührt worden waren. Der Beschluß wurde ausgeführt. Man tat, wie man beschlossen hatte. Und, o Wunder, die "Kalben" rannten mit dem Wagen davon und eilten zur Eiche, wo das Bild ursprünglich war, und blieben da ruhig stehen.

Nun war der Wille Gottes klar. Man widersetzte sich dem auch nicht, sondern begann mit dem Bau und stellte das schöne Gotteshaus zu Ehren des Bildes der Heiligen Jungfrau fertig.


Quelle: Elmar Schwartz, in: Sonntagsblatt, 23. Mai 1926, Nr. 2, S. 19f (gekürzt), , zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 272f.