Sage vom Schönofen

Eine Menge Mäher und „Rechnerinnen“ waren in der Gegend um den Schönofen auf der Straßerhalt am Gößl, einem Lavanttaler Berge, beschäftigt. Als die Mittagsglocke von der Kirche am Kamp ertönte, hielten sie gemeinsame Mahlzeit auf dem grünen Rasen, Nach dem Essen bestieg eine junge Dirn den Schönofen, der etliche hundert Schritt vom Mahd-platze entfernt war, um die schöne Aussicht in das untere Lavanttal zu genießen. Da gewahrte sie an der Rückseite des Felsens eine kleine offene Tür. Furchtlos trat sie ein und kam in ein kellerartiges Gemach, in welchem zwei hübsche Rappen bei einem Futtertroge standen, der mit dem prächtigsten Hafer gefüllt war. Verwundert, wie die Pferde hieher gekommen, noch mehr über den herrlichen Hafer staunend, nahm sie einige Hände voll aus der Krippe und füllte ihren Schürzensack, um die Frucht dem Bauer zu zeigen. Von diesem Keller führte eine weitere Tür in ein helleres Gemach. Als sie dieses betrat, sah sie zu ihrem nicht geringen Schrecken den aus vielen Sagen ihr wohlbekannten schwarzen Hund auf einer Truhe liegen, daneben einen Laib Brot, in welchem ein Messer stak. Schnell fiel ihr bei, daß die Truhe unermeßliche Schätze enthalten und der Hund, der sie bewachte, durch ein Stück Brot von seinem Platze gelockt werden könne. Obwohl das Tier die Zähne fletschte, nahm sie den Laib, schnitt ein tüchtiges Stück ab und warf es dem Hunde vor. Während er fraß, hatte sie Zeit, vom Inhalte der Truhe etwas in ihre Schürze zu werfen. Dann kehrte der Hund auf seinen Platz zurück, und das Mädchen wollte wieder auf den Mahdplatz eilen, doch entsetzlich! die Türe war verschlossen. Mißmutig legte sie sich im ersten Gemach aufs Heu und verfiel in einen tiefen Schlaf. Als sie erwachte, stand die Tür „schederweit“ offen, und sie trat ins Freie. Doch wie erstaunte sie, als sie auf der Wiese nicht mehr die Leute von vorhin erkannte, sondern lauter fremde Gesichter sah. Sie ging nun zum Bauer; dieser schlug ein Kreuz um das andere, befühlte sie und überzeugte sich endlich, daß sie ein lebendes Wesen und kein Geist sei. Da erfuhr sie erst, daß sie gerade am Jahrestage ihres Verschwindens zurückgekehrt sei und also ein Jahr im Schönofen geschlafen habe. Die Felsentür blieb seitdem verschlossen und unauffindbar.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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