DIE MAULTASCHSCHUTT BEI OSTERWITZ
Als die Belagerung und darauffolgende Zerstörung des Schlosses Dietrichstein durch Margaretha Maultasch vor sich ging, flüchteten viele Einwohner, Herren und Knechte, mit Weib und Kind eiligst gen Osterwitz, eine Burg, welche dem edlen Ritter Beinher Schenk gehörte, welcher auch die Flüchtigen gern auf seiner starken und stattlichen Burg aufnahm, die eine Meile Weges von Sankt Veit gegen Völkelmarkt rechter Hand auf einem sehr hohen und steilen Felsen liegt, wo man weder mit Sturmanlaufen noch mit Steingeschoß-Einwerfen etwas ausrichten konnte.
Die kühne Fürstin aber zog demunerachtet mit vielem Kriegsvolk vor das Schloß und war willens, so lange davor zu liegen, bis es der Mangel droben in ihre Hand und die vielen dort hinauf geflohenen Herren und Frauen in ihre Gefangenschaft liefere.
Herr Reinher Schenk traf alle Anstalten zur tapfern Gegenwehr; er verteilte sein Kriegsvolk, dessen nur wenig über dreihundert Mann war, zweckmäßig auf die hohen Mauern und Türme und ließ fleißig Wache halten. Indes rückte das feindliche Heer immer näher, umkreiste den Felsenberg und schloß ihn so eng ein, daß niemand mehr zu den Belagerten hindurchgelangen konnte, fügte auch auf Geheiß seiner Herrin den Umwohnern merklichen und empfindlichen Schaden zu durch Morden, Rauben und Brennen.
Allein, damit wollte sich das feste Schloß immer noch nicht geben, und die Zeit verstrich sonder Erfolg, so daß sich endlich Frau Margaretha entschloß, Werbung tun zu lassen an den Burgherrn, das Schloß gegen freien Abzug mit den Seinen zu übergeben. Darauf ließ Ritter Reinher Schenk ihr sagen, er müsse, wenn er etwas nach ihrem Dräuen fragen wolle, fürwahr ein zages Kind sein.
Da sonach diese Aufforderung zur Übergabe von Osterwitz nichts fruchtete, so sollte nun der Ort ausgehungert werden, und es entstand in der Tat am Ende ein furchtbarer Mangel in Osterwitz, besonders am Wasser, so daß täglich viele Personen starben. Die dreihundert Kriegsmänner schmolzen zu einem Häuflein von einhundert und mußten sich mit abscheulicher Speise von solchen Tieren sättigen, deren Fleisch man sonst verachtet. Da galt es nun einen guten Rat zu ersinnen, und diesen erfand Herr Reinher Schenk, als aller Vorrat an Lebensmitteln aufgezehrt war bis auf einen dürren Stier und zwei Vierling Roggen. Man schlachtete den Stier, füllte in seine frische Haut den Roggen und stürzte es über den Berg hinab, so daß es die Belagerer mit großer Verwunderung sahen. Als Frau Maultasch dies nun auch erfuhr, tat sie einen zornigen Schrei und rief: "Ha, das sind die Klausraben, die sich Fraß und Futter auf eine lange Zeit in ihre Felskluft zusammengeschleppt. Wir werden sie nicht leichtlich in unsere Klauen fassen. Auf! lassen wir diese in ihrem hohen Neste sitzen und richten unsere Jagd auf andere und fettere Vögel!"
Hochosterwitz. Bildstock auf dem Maultasch-Schutt.
© Harald Hartmann, August 2006
Und von Stund an gebot die Herrin ihren Kriegern, daß ein jeder insonderheit seine Sturmhaube voll Erde fassen und sie auf einem ebenen Felde, gleich Osterwitz gegenüber, ausschütten solle. Dies geschah, und wurde aus sotaner Erde ein ziemlich großes Berglein, das nannte man im Lande Kärnten lange Zeit die Maultasch-Schutt. Im Jahre 1580 ließ der Landeshauptmann von Kärnten, Herr Georg Kevenhüller, Freiherr zu Aichelberg, der Frau Maultasch Bildnis aus schönem weißem Stein aushauen und aufrichten, welche Denksäule man das Kreuz bei der Maultasch-Schutt hieß.
Quelle: Volkssagen, Mährchen und Legenden
des Kaiserstaates Österreich, Ludwig Bechstein, 1840