DIE SAGE VOM LINDWURM

In uralter Zeit lag hoch oben auf dem Berg, zwischen den heutigen Ortschaften Rangersdorf und Witschdorf, in einer Mulde ein kleiner See. Dort hauste in einer Höhle ein Lindwurm. Die Bauern hatten rings um den See ihre Almen. Täglich fehlten ihnen bald ein paar Schafe, bald eine Kuh. Niemand wagte es, das gierige Ungeheuer anzugreifen. Oft saßen die Männer beisammen, berieten und schmiedeten Pläne, die aber nie ausgeführt wurden. Endlich ersann ein pfiffiges Bäuerlein eine List, und alle anderen stimmten seinem Gedanken zu. Eine schöne Kuh wurde geschlachtet und ihr die Haut abgezogen. In die Haut füllten sie ungelöschten Kalk und versteiften sie mit Holzstäben. In der Nacht schlichen sie damit leise und vorsichtig zum See und stellten sie ans Ufer. Am Morgen erwachte der Lindwurm, tappte aus seiner Höhle, räkelte sich und riß seinen riesigen Rachen auf. Da gewahrte er die Kuh. Eilig wälzte er sich hin. In seiner Gier prüfte er nicht lange, sondern verschlang sie mit einem einzigen Zuschnappen. Kaum hatte er sie geschluckt, als ihm Rachen, Schlund und Eingeweide wie Feuer zu brennen begannen. Er bäumte sich auf und stürzte sich brüllend ins Wasser, um sich zu kühlen. Wild vor Schmerz schlug das Untier um sich. Hochauf schäumten die Wellen und überschwemmten die Wiesen ringsum. Mit seinem wuchtigen Schwanz traf er den Damm des Sees gegen das Tal zu und durchschlug ihn; Wasser, Schlamm und Steine ergossen sich über den Berghang und verschütteten Häuser und Kirche der damaligen Ortschaft Rangersdorf.


Quelle: Gottlieb Schweiger, Der Burgfried Stall - Die Geschichte der Gemeinden Rangersdorf und Stall, Stall 1978, Seite 170