Die goldenen Apostel von Göttweig.

Gar herrlich schaut auf seinem Berge das Stift Göttweig ins Tal, und wenn es im Abendsonnenschein golden aufleuchtet, möchte einer meinen, in ihm sei das purlautere Glück daheim.

Ist dem aber nicht so ... ist kein Berg zu hoch, das Unheil findet doch hinauf, und also wissen die Göttweiger geistlichen Herren auch von harten Zeiten zu erzählen, wie in deren Chroniken verzeichnet steht. Auch ihre Felder hat manchmal der Schauer getroffen, aus ihren Trauben hat sich jeweils nur Essig pressen lassen, in ihren Wäldern hat die Nonne gehaust, in Kriegsläuften ist das Stift arg mitgenommen, vom Napoleon sogar geplündert worden, und einmal ist's ganz und gar abgebrannt.

Aber ... das tut den Göttweigern alles nichts, ihr Stift heißt trotzdem allfort "zum klingenden Pfennig". Man muß nämlich wissen: Tief in einer verborgenen Felsenkammer stehen der Apostel lebend große Bildnisse aus lauterstem Gold und allfort wachsen ihnen goldene Bärte. Nur der Abt, der Prior und der Kämmerer kennen das Versteck, und alljährlich in der Johannesnacht steigen sie, da alles im Kloster schläft, in die schaurige Tiefe und scheren den Zwölfboten die Bärte.

Einen der Apostel ... wird wohl der Judas gewesen sein ... haben sie freilich, da des Klosters Aufbau nach dem großen Brande unbändig viel Geld verschlang, versilbert. Na... sind ihrer noch allweil elfe und die Bärte wachsen und wachsen und die Göttweiger haben es leicht, selbst im vollen zu leben und noch allseits Wohltaten zu erweisen.

Ich bitte aber, so jemand mit den Herren zusammenkommt, der Geschichte ja keine Erwähnung zu tun! Sie hören's nicht gerne, und, ich wette, sie sind imstande und leugnen's gar noch ab!

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 79 - 80.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.