MARKGRAF RÜDIGER VON BECHELAREN

Bald kamen sie zum Lande
Herrn Rüdegerens hin.
Der wohnte an der Straße
Und war der beste Wirt,
Der je durch Treu und Güte
Gastfrei ein Haus geziert:
So wie der lichte Maie
Das Gras mit Blumen streut.
Als der die Mär vernommen,
Da war er hoch erfreut,
Er sprang von seinem Sitze
Im hohen Saal empor:
"Es klang gar gute Kunde
Von Freunden mir ins Ohr,
Die bei mir Herberg suchen,
Das heiß' ich wohlgetan!
Zu Roß! Daß wir die Gäste,
Wie sich's gebührt, empfahn!"


Es eilte zu den Rossen
Da Rittersmann und Knecht.
Was Rüdeger geboten,
Das deuchte allen recht;
Es ritten ohne Säumen
In festlichem Gewand
Herrn Gunters Heer entgegen
Die Degen über Land.


Als nun der gute Markgraf
Die stolzen Gäste sah,
Begrüßte er sie herzlich
Und sprach in Freude da:
"Wie seh' in meinem Lande
All hier ich euch so gern,
Willkommen all ihr Fürsten
Und all ihr edlen Herrn!"


Da dankten ihm die Recken
In Treuen ohne Haß;
Daß sie willkommen waren,
Gar wohl bewies er das ...
Wie sehr sie sich auch wehrten,
Er ließ sie nicht von dann;
Bis an den vierten Morgen
Behielt er Roß und Mann.


Da wurde seine Milde
Gepriesen weit und breit,
Denn allen gab beim Scheiden
Er da noch Spang' und Kleid.
So holden Wirt für Gäste
Gab es wohl nimmermehr
Allhier auf dieser Erden
Als wie Herrn Rüdeger.


Manch Fenster ward geöffnet
Und weithin aufgetan,
Als all die kühnen Helden
Sich scharten auf dem Plan.
Mich deucht, die Herzen ahnten
Voraus das künft'ge Leid:
Es weinten viele Frauen
Und manche holde Maid;
Nach ihren lieben Freunden
Hinschauten sie zu Tal,
Die sie in Bechelaren
Heut sahn zum letztenmal.
Durch breite Wälder ritten
Die Herrn am grünen Strand
Der Donau ohne Sorgen
Hinein ins Heunenland.

Quelle: Emil Engelmann, Das Nibelungenlied für das deutsche Haus. — Eßlingen a. N. 1888
Anmerkung: Bechelaren = Pöchlarn an der Donau