Die feindlichen Brüder.

Eine Wegstunde südlich von Melk erhebt sich aus dunklen Forsten die mächtige Schallaburg. Daselbst hausten einst zwei Brüder, die sich dermaßen haßten, daß sie nicht einmal unter einem Dache wohnen wollten. Also baute sich der Jüngere seine eigene Burg, deren verfallene Reste man außer den Mauern der Stammburg sehen kann. Doch der Ältere, Ritter Georg hieß er, mochte den Bruder nicht einmal in der Nähe dulden. So erschlug er ihn im Zweikampfe und die Leute setzten dem Gemordeten mitleidig ein Marterl, das rote Kreuz, das heute noch zwischen zwei schlanken Pappeln im Talgrunde steht.

Von nun an suchte der Mörder, von Gewissensbissen gemartert, Zerstreuung und Vergessen im wilden Gejagd. Ihm war nur wohl, wenn er mit seinen Hunden den Hirsch zu Tode hetzen konnte, und bald liebte er seine Hunde ... er hatte deren sieben, gar blutgierige Bestien ... so sehr, daß er sie an seinem Tische aus silbernen Schüsseln mitessen ließ und die Vorwürfe seiner Frau, wie daß es Sünde sei, Tiere Menschen gleich zu halten, mit der Hundspeitsche beantwortete.

Als er nun wieder eines Tages zur Jagd auszog, begab es sich, daß sich weit und breit kein Wild zeigen wollte, und wenn er endlich einmal zu Schuß kam, verfehlte er, der doch sonst den Apfel am Baume traf, sein Ziel. Des vergeblichen Jagens müde, machte er sich endlich, greuliche Flüche ausstoßend, auf den Heimweg. Da stand er plötzlich vor dem roten Kreuze. Der Heiland breitete, die ganze Welt segnend, seine Arme weit aus, nur ihn, den Mörder, traf der strafende Blick des Richters, der zu fragen schien: "Kain, wo ist dein Bruder Abel?" Außer sich vor Wut griff der Unselige zur Waffe und jagte dem Gekreuzigten eine Kugel in die Brust mit den Worten: "Wenn ich heute schon gar nichts getroffen habe, so will ich wenigstens dich treffen!" Da ertönte vom Kreuze herab ein entsetzlicher Schrei, die Hunde heulten laut auf und flohen in sinnloser Angst nach allen Richtungen, am Himmel ballte sich ein Gewitter zusammen, unaufhörlich zuckten grelle Blitze zur Erde, der Donner rollte und grollte, ein gewaltiger Sturmwind fuhr durch den Forst, daß die stärksten Bäume krachend übereinander stürzten: die ganze Natur empörte sich ob des maßlosen Frevels ... der jüngste Tag schien gekommen zu sein und mit ihm das Gericht!

Von Entsetzen erfüllt, eilte der Hundsritter der Burg zu, und siehe, die totblassen Gesichter und der stammelnde Mund der ängstlichen Dienerschaft kündete neues Unheil. Zur selbigen Stunde hatte seine arme Frau ein Mägdlein geboren, das trug statt eines Menschenhauptes einen zottigen Hundskopf auf dem Halse. Von wahnsinniger Raserei ergriffen, rannte der in seinem Kinde so schwer gestrafte Bösewicht in das wilde Wetter hinaus und ward nicht mehr gesehen.

Seit der Zeit muß er als Geist jede Nacht mit seinen Hunden in den weiten Forsten herumtollen und mit dem gemordeten Bruder kämpfen. Alte Schloßmägde hören, sich mit dem heiligen Kreuz besegnend, gar oft das Klirren der aufeinander schlagenden Waffen. Das bedauernswerte Hundsfräulein aber, das noch lange in unterirdischen Gemächern und Gängen lebte, wandelt bis auf den heutigen Tag als Schloßgespenst, und sein Erscheinen bedeutet jedes mal, daß ein Bewohner der Burg innerhalb dreier Tage sterben muß.

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 34 - 36.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.