DIE EROBERUNG DER EISENBURG

Lange Jahre waren die wilden Reiterscharen der Ungarn der Schrecken und das Entsetzen Europas. Aus der Tiefebene zwischen Donau und Theiß stürmten sie, alles verheerend, sengend, brennend, mordend, auf ihren flinken Rossen über die deutschen Lande hin und bis nach Frankreich. (Sie fügten zum unnennbaren Leid noch den Spott, sagend, ihre Pferde würden alle Flüsse Deutschlands bis auf den Grund austrinken.)

Endlich aber wurde dem Ansturm Halt geboten, die Geißel, die sie so lange über friedliche Länder geschwungen hatten, zerbrochen: Kaiser Otto I. schlug die Feinde am 10. August des Jahres 955 auf dem Lechfelde bei Augsburg bis zur Vernichtung, und fortan hielten sich die Ungarn, durch starke Verhaue gesichert, in ihren Grenzen.

Damals erbaute ihr König oder Heerführer Gizzo auf hohem Fels am Eingang der Wachau die Eisenburg, und wollte Leopold seines Lehens, der ihm durch kaiserliche Gnade gewordenen Ostmark, froh werden, so galt es, vorerst die Trutzburg mit stürmender Hand zu nehmen.

Ein Reichsheer unter der Führung des Bayernherzogs Heinrich kam dem Markgrafen zu Hilfe und schlug die Ungarn unweit Melk in heftigem Ringen, worauf die Belagerung der Eisenburg in Angriff genommen wurde. Es war aber ein schier unmögliches Unterfangen; denn lotrecht ragte, aus den Fluten aufsteigend, der Fels gegen den Himmel, vergeblich rannten die Widder auf der Landseite gegen die Mauern und Tore, vergeblich schleuderten Ballisten zentnerschwere Steinkugeln, und keine Leiter war so lang, daß sie genügt hätte, die Burg zu ersteigen. Dagegen prasselte den Belagerern bei jeder versuchten Annäherung ein Steinhagel auf die Köpfe, und König Gizzo spottete mit Hohngelächter der vergeblichen Bemühungen.

Schon wollte der Markgraf an dem Werk verzagen, da nahte sich in bescheidener Haltung ein Knappe und sprach:

"Herr, gönnet mir, daß ich Euch in Eurer Bedrängnis beistehe! Ich bin ein Kind des Donaugaues, habe als Bub um den Fels die Geißen meines Vaters gehütet und von ihnen klettern gelernt. Ich kenne im Fels jede Runse, jedes aufsprießende Strauchwerk, an dem man sich mag festhalten, jedes Plätzlein, auf das man seinen Fuß mag setzen. Auch ist in der Burg in hartem Zwang ein Mägdlein, das ist mir mehr denn gut, und ist nicht das erstemal, daß ich zu traulichem Geplauder beim Pförtlein, dessen niemand achtet, den Fels erstieg. Gebt mir ein Dutzend verwegener Mannen, und die Burg ist Euer!".

Frohen Mutes vernahm der Markgraf des wackeren Knappen verheißungsvolle Kunde, und nach getroffener Verabredung erstiegen die erwählten Mannen in stockdunkler Nacht den Fels, das Mägdlein öffnete auf ein Zeichen des Geliebten das Pförtlein, die Kämpen schlüpften hinein und öffneten nach eiliger Niedermachung der wenigen Wachen das Haupttor, worauf Leopold mit den Seinen gewaltig eindrang. Nach heißem Kampf ward König Gizzo samt den Seinen erschlagen, die Eisenburg verbrannt, die Mauern bis auf den Felsgrund zerworfen.

Stift Melk
Stift Melk
Bildarchiv SAGEN.at, Nr. 28350

Und es dauerte nicht lange, so war die Mark bis zum Kahlenberg vom Feinde gesäubert, worauf der Markgraf in erleuchteter Erkenntnis dessen, was dem Lande nottun mochte, in Melk seinen Sitz aufschlug, Mönche berief und Klöster gründete sowie durch Siedler deutschen Stammes im weiten Waldgebiete, das bis zum Kampfluß und zur Thaya reichte, schlagen, roden und reuten ließ. Daher gibt's auch heute noch in der Ostmark so viele SiedJ, Schlag und Reut, wie jedem bekannt ist, der im unterennsischen Österreich Bescheid weiß. Und es waren die ersten mönchischen Siedler in Leopolds Pfalz zu Medelike fromme Chorherren nach des heilgen Augustinus Regel.

Leopold selbst, den die Geschichte den Erlauchten oder Erleuchteten nennt, weil er, wie der Chronist sagt, wie keiner verständig war in allen seinen Handlungen und tüchtig in seinem Wesen, starb am 30. Juli des Jahres 994 nach Christi Geburt während eines zu Würzburg abgehaltenen Turniers durch einen verirrten Pfeil eines gewaltsamen Todes.

Er wurde nebst seiner Gattin Richarda, ebenso neun andere Mitglieder des ruhmvollen Babenbergischen Hauses, in Melk beigesetzt.


Quelle: Josef Wichner, Wachausagen. — Krems an der Donau 1916