Markgraf Gerold und seine Töchter.

Nachdem Karl der Große die Avaren geschlagen hatte, gründete er, um die Grenze gegen neuerliche Einfälle dieses wilden Räubervolkes zu sichern, zwischen Enns und dem Wienerwalde die Ostmark und erkor seinen Schwager Gerold, den tapferen Führer des bayerischen Heerbannes, zum ersten Markgrafen.

Gerold hatte seinen Sitz in Lorch, so will es die Geschichte; die Sage aber weiß zu berichten, er habe auf dem waldreichen Brackersberge bei Melk ein gar herrliches Schloß erbaut und daselbst mit seinen drei Töchtern, deren eine den Namen Salome führte, in seinem Stande angemessener Pracht gehaust.

Der Markgraf verlor bei einem Aufstande der Avaren sein Leben, die Burg zerfiel oder versank, unbekannt ist das Schicksal seiner Töchter. Aber seitdem spukt Salome mit ihren Schwestern um den Brackersberg und sie treiben mit fürwitzigen Wanderern ihren Schabernack. Ist allweil unheimlich im Brackersberger Forst, zumal wenn die Nacht, so keines Menschen Freund ist, sich auf ihn und in ihn gesenkt hat. Leicht mag sich einer, verlockendem Rufe oder Singsänge nachgehend, verirren, sich in Dorngestrüpp verwickeln und als geschundener Mann nach Hause kommen, und höhnisch lacht's und kichert's hinter ihm drein ... ist nicht etwa das Käuzchen, beileibe, sind Markgraf Gerolds gespenstische Töchter.

So sind einmal ... ist aber schon lange her ... drei gute Brüder Straubinger, so des ehrbaren Handwerks halber durch die Lande zogen und am liebsten mit Leberwürsten, Schinkenbeinen und Maßkrügen fochten, bitterböse genarrt worden. Wohl haben sie des Markgrafen stolze Burg gesehen, wohl haben ihnen die drei Prinzessinnen gar liebreich zugewinkt, wohl hätte jeder eine der Huldinnen zur Frau bekommen, wenn sie das Eichhörnchen, das Rätsel aufgibt, die Goldammer, die Geschichten erzählt, und die Nachtigall, die in Menschenworten singt, gefunden hätten. Leider aber erwiesen sich Burg, Prinzessinnen und redende Tiere nur als Traumgestalten, nicht wegzuleugnende Wirklichkeit aber waren die von stechenden Sträuchern übel zerkratzten Gesichter der notigen Gesellen.

Vom Grafen hat das Dorf Gerolding seinen Namen erhalten, und eine Schlucht, die sich vom Berge gegen die uralte Siedlung Mauer hinabzieht, heißt heute noch Salomegraben.

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 16 - 17.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.