Das Donauweibchen

Des Abends im Dämmerlichte oder in hellen Mondnächten taucht zuweilen aus dem Strome das Donauweibchen empor. Bald schwebt die seltsam anmutige Erscheinung in weißschimmerndem Gewande über den Wellen dahin, bald taucht nur ihr Oberleib hervor. Goldblonde Haare wallen reichlich vom blumengeschmückten Haupte der schönen Elfe, ein lieblicher Blumenkranz schlingt sich auch um ihren Leib. Zuweilen kommt die Holde sogar ans Ufer, guckt den Leuten ins Fenster und freut sich, wenn sie recht glückliches Famitienleben findet. Fischer und Schiffer warnt das Donauweibchen gerne vor Eisstoß und Hochwasser. Manchmal lockt es aber auch einen hübschen Gesellen durch bezaubernden Gesang ins Verderben. Ebenso zieht die Fee Kinder, welche am Ufer spielen, zu sich in die kalte Flut hinab. Um unter den Menschen weilen zu können, verdingt sie sich mitunter sogar als Magd, verschwindet aber sofort wieder, wenn die Dienstgeber über ihr wahres Wesen Verdacht schöpfen. Weinend kehrt sie dann in ihren Kristallpalast auf dem Donaugrunde zurück. Gerne beschenkt sie auch einsam Begegnende mit Muscheln, bunten Kieseln und anderen unscheinbaren Dingen, die sich aber gelegentlich in wertvolle Schätze verwandeln. Am liebsten ist ihr's jedoch beim Tanze der Schiffleute und Fischer. Da bittet das Donauweibchen selbst öfter einen Mann zum Tanze. Dabei zeigt es solche Lieblichkeit und Anmut trotz aller Schnelligkeit, daß alle übrigen zu tanzen aufhören und die seltsame Tänzerin entzückt anstarren, sobald aber ihre Haare naß zu werden beginnen, huscht die Nixe sogleich unbemerkt von bannen.

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Gerne reden die Donauleute von ihr und erzählen sich, wann sie dieselbe gesehen haben. Einstmals sah auch eine fröhliche Schar in schöner Mondnacht am Donauufer beisammen. Viel wurde dabei über das Donauweibchen geplaudert. Plötzlich hörte ein aller Schiffer ihren lieblichen Gesang. Der Lärm der heiteren Gesellschaft machte ihn aber wieder verstummen. Vergebens lauschten nun alle darnach. Bald regte sich wieder die Fröhlichkeil und ein lustiger Tanz begann zu den Klängen einer Zither. Nun sah der Alte gar die Donaunixe aus dem Wasser kommen, sie schwebte geradewegs auf die Tanzenden zu, faßte einen jungen Schiffer am Arm und drehte sich mit ihm wunderleicht und behend im Kreise. Ehe sich der Jüngling bewußt geworden, welch sonderbare Tänzerin er habe, war der Reigen zu Ende und sogleich sah man sie wieder zum Ufer hinabhuschen und in den Wellen verschwinden. Eine Weile später griff jener Schifferjüngling in seine Tasche; da zog er einen leuchtenden Diamanten heraus, wie solche vom blumengeschmückten Haupte des Donauweibchens herabgefunkelt hatten.

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Eine andere Guttat der holden Nixe weih man vom Aulande unterhalb Krems zu erzählen. Dort sah sie eines Tages am Strande einen kleinen Knaben spielen. Er was das Kind eines armen Fischers, der in einer dürftigen Hütte am Ufer wohnte. Das Büblein siel aber bei seinem Spiel ins Wasser. Da fühlte es sich von einer wunderschönen, weiß gekleideten Frau erfaßt und wurde schwimmend ans Land getragen. Dort küßte sie das Kind und gab ihm eine silberne Blume.

Zum Manne herangewachsen, hielt er diese stets hoch in Ehren und hatte überall sichtlich Glück, sogar der Bau eines stattlichen Hauses aus einer Donauinsel war ihm möglich geworden. Während der Nacht kam aber einmal eine Ueberschwemmung, aus der er bloß sich und den seinen das nackte Lebe rettete. Die Silberblume war ihm allein von aller habe geblieben. Während der Fischer über den Verlust seines Wohlstandes jammerte, entsiel ihm auch sie noch und verschwand im trüben Donauwasser. Im selben Augenblicke tauchte das Donauweibchen empor und sprach:

"Du hast mich mit der Blume zu Hilfe gerufen, siehe, worauf Du slehst!"

Da fand der Fischer im Donausande glänzende Goldkörner. Ein ganzer Beutel wurde damit voll. Dadurch hatte die Not sofort wieder ein Ende. Der Fischer konnte sich und seiner Famitie ein neues, viel schöneres Haus bauen.

Quelle: Sagen der Wachau, Hans Plöckinger, Krems a. D. 1926, Nr. 1, S. 7 ff