Der streitbare Mönch

Der Waffenmeister König Dietrichs von Bern, der alte Hildebrand, hatte einen Bruder, namens Ilsan. Auch der war ein sehr wackerer Recke und führte ein reich bewegtes Abenteurerleben. Als der Held alt geworden, entschloß er sich, zur Buße für seine Sünden ins Kloster Melk oder Eisenburg, wie es damals hieß, einzutreten. Dem neuen Bruder war erlaubt worden, Rüstung und Waffen in die Zelle mitzunehmen, da er so sehr daran hing. Oft noch trug er unter der Mönchskutte das eiserne Streitgewand, sodaß es bei seinen wuchtigen Schritten in den Klostergängen unheimlich klirrte. Auch seinen Jähzorn konnte der einst sehr ungestüme Krieger nicht ganz bezähmen und seine Mitbrüder mußten viele arge scheltworte, ja manchmal gar Schläge hinnehmen, sodaß sie ihm übel gesinnt waren.

Während Ilsan sich vergebens abmühte, ein braver Mönch zu werden, unternahm König Dietrich mit seinen Recken viele Heerfahrten. Einmal wurde er auch von König Gibich zu Kampfspielen nach Worms geladen. Dessen Tochter, die schöne Kriemhilde, um welche sich eben der Held Siegfried bewarb, sollte jeden Sieger durch einen Kuß und einen Kranz aus ihrem Rosengarten die höchste Ritterehre erweisen. Solch lockender Aufforderung konnte der edle Berner nicht widerstehen. Es war verlangt worden, zwölf Recken mitzubringen. Da Dietrich damals gerade bloß elf aufbieten konnte, so erinnerte der Waffenmeister Hildebrand an seinen Bruder, den Mönch Ilsan. Man nahm den Weg an Melk vorbei und erbat sich eine Zwiesprache mit diesem an der Pforte des Klosters. Leicht konnte er zur Beteiligung an dem Abenteuer gewonnen werden. Der Abt wollte allerdings nicht die Erlaubnis hiezu geben. Diese erzwang sich Ilsan aber und zog in Dietrichs Gefolge gegen Worms.

In den Kämpfen, welche dort ausgefochten wurden, blieben Dietrichs Mannen stets Sieger, ja er selbst überwand sogar den unverwundbaren Siegfried, nachdem er dessen Hornhaut durch die aus seinem Munde sprühenden Feuerflammen erweicht hatte. Ilsan streckte nicht bloß den Meister des Gesanges, den Helden Volker von Alzen, in den Sand, sondern siegte noch über 51 andere Streiter und bekam darum 52 Kampfpreiskränze, gerade so viel, als er Mitbrüder im Kloster halte. Auch Kriemhilde bot ihm ihren Rosenmund, doch Küsse lockten den streitbaren Mönch durchaus nicht, darum rieb er der Holden mit seinem borstigen Kinn die zarten Wangen so heftig, daß ihr rosenfarbenes Blut in die Blumen floß. Dann packte er alle seine Kränze und zog wieder heim in sein Kloster.

Dort hatte man gehofft, ihn für immer zu verlieren. Nun war alles über seine Rückkehr entsetzt. Bruder Ilsan drückte jedem Mönche zum Willkomm einen indes dürr gewordenen Rosenkranz mit den Dornen auf das geschorene Haupt und forderte alle auf, mit ihm für seine neuen Sünden Bußübungen zu verrichten. Das wurde natürlich verweigert. Daraufhin band er je zwei der Mitbrüder an ihren langen Bärten zusammen und hängle sie über eine Stange.

Quelle: Sagen der Wachau, Hans Plöckinger, Krems a. D. 1926, Nr. 7, S. 12ff