Die Wahnsinnige von Aggstein
Auf dem Rande des Rosengärtleinfelsen erschien, so erzählten sich in früheren Tagen die Donauschiffer, von Zeit zu Zeit eine weiße Gestalt mit fliegenden Haaren, wehmütig die Hände ringend. Wenn sie sich zeigte, dann suchten jene einen Landungsplatz, denn jedesmal verkündete diese Erscheinung einen nahenden Sturm, sie wurde die "Wahnsinnige von Aggstein" genannt und mit folgendem Geschichtlein in Beziehung gebracht:
Ritter Theobald von Senftenberg führte seine Braut Rosamunde von
Seifenegg zu Schiffe heim, wurde von Schreckenwald und seinen Reisigen
überfallen, schwer verwundet und bewußtlos auf seinem ruderlosen
Schiffe zurückgelassen, die Braut aber mit ihrem Brautschatz geraubt
und auf die Burg Aggstein gebracht. Hans von Neudegg, Burgherr zu Oberranna,
auf der Jagd zufällig in diese Gegend gekommen, ließ das Schiff
ans Land führen und den noch lebenden Theobald in Oberranna heilen,
worauf beide in Begleitung zahlreicher befreundeter Ritter nach Aggstein
zogen, das Fräulein zu befreien und all dem Räuber Rache zu
nehmen. Theobalds Aufforderung zur Uebergabe der Feste wurde von Schreckenwald
mit Hohn zurückgewiesen, welcher, von seines Feindes Speer getroffen,
sterbend seinem Vertrauten Kuno befahl, Rosamunden aus ihrem Gemache in
das Rosengärtlein zu bringen. Die Burg ging an die Sieger über,
allein überall forschten sie vergeblich nach dem Fräulein, bis
endlich Theobald in der Nacht die Stimme seiner Braut an ihrem leisen
Klagegesange erkannte und dann am äußersten Gipfel des Felsens
eine weiße Gestalt die Hände ringend erblickte. Zu Hilfe eilend,
wurde er von der schon dem Wahnsinne Verfallenen für den verabscheuten
Schreckenwald gehalten und zugleich mit ihr selbst in den Abgrund gestürzt.
Die Leichen des unglücklichen Paares nahm eine gemeinschaftliche
Gruft im Kreuzgange der Kartause Aggsbach auf, Schreckenwald wurde im
Walde bei Aggstein verscharrt. Nicht lange überlebte Hans von Neudegg
diesen traurigen Zug, starb 1459 und wurde in dem von ihm gestifteten
Paulinerkloster zu Unterranna beigesetzt.
Quelle: Sagen der Wachau, Hans Plöckinger, Krems a. D. 1926, Nr. 34, S. 43f