Die Sage von Preinglöckl.

Zur Zeit, da man zählte das tausendsiebenhundertste Jahr nach des Herrn gnadenreicher Geburt, wütete in der guten Stadt Krems eine gar erschreckliche Seuche, und mochten ihr die geschicktesten Ärzte nicht Herr werden, obschon sie kein Mittel unversucht ließen, gar fleißig Konsilien hielten und heftig auf Latein disputierten. Das Unwesen ergriff allzumeist die kleinen, dann aber auch größere Kinder und schließlich auch die Erwachsenen, ward vorerst nur für einen leichten Schnupfen gehalten, dem man bei mehrfachem Niesen durch das übliche "Helf Gott!" genugsam zu steuern vermeinte. Bald aber verschlimmerte sich das Übel, die Kranken wurden von bösen Fiebern geschüttelt, klagten über unerträgliche Schmerzen im Halse, vermochten trotz peinigenden Hungers nicht zu schlingen, warfen Schleim und bräunliche Hautfetzen aus und mußten nach wenigen Tagen elendiglich ersticken. Häutige Bräune nannten die Ärzte die Seuche von dem Auswurf der in höchster Atemnot ringenden Kranken, war aber damit, daß man den Namen wußte, wenig oder nichts geholfen.

Demnach behaupteten viele Städter steif und fest, es könne nur der leidige † † † den Pestsamen in den brauenden Herbstnebeln gesäet haben oder seine verruchten Helferinnen, die bösen Hexen, auf deren etliche man mit Fingern könnte zeigen. Hierauf beschloß, sotaner Meinung beipflichtend, die Bürgerschaft eines Sinnes mit der hochwürdigen Geistlichkeit, zur Abwehr der Unholde und Anrufung Gottes sowie seiner heiligen Mutter als dem Heile der Kranken eine fromme Stiftung zu machen zu ewiger Zeiten Gedächtnis.

Es hing und hängt aber in dem hochragenden Turme der Liebfrauenkirche ein Glöcklein, dessen silberhelle Stimme schon seit langen Jahren die Priester zum Gebete rief, so als das erste des frühen Morgens auf Latein Prim heißt.

Selbiges Glöcklein verblieb, als das Gotteshaus im Jahre 1616 denen Patres aus der Gesellschaft Jesu übergeben wurde, laut schriftlichen und besiegelten Vertrages Eigentum des Rates und der ehrsamen Bürgerschaft von Krems. So ward denn die Stiftung gemacht, es solle, wenn Gott und Maria dem Sterben gnädiglich Einhalt tun würden, für immerdar des Sommers um vier, des Winters um fünf Uhr durch eine Viertelstunde geläutet werden. Und ward dem Türmer für das Läutewerk stiftlich drei Gulden Wiener Währung des Jahres zugesprochen.

In der Tat nahm das erschreckliche Sterben nach erfolgtem Gelöbnis sogleich ein Ende und so heißt das Glöcklein, das heute noch jeden Morgen über die Stadt hin ruft und dessen Namen die Buchgelehrten von der "Prim" herleiten, in Krems manniglich das Bräun- oder Preinglöcklein.

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 85 - 87.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.