SCHRECKENWALDS ROSENGARTEN BEI MELK

Auf dem hohen Agstein [Aggstein], unterhalb des Klosters Melk, hauste ein furchtbarer Räuber, welcher die ganze Gegend unsicher machte, des Name war Schreckenwald. Hoch auf der steilen Felsenspitze des Agsteins war ein fast unzugänglicher, enger und schmaler Raum im Geklüft, kaum drei Schritte lang und breit, der hatte nur einen Ausgang in einen furchtbaren Abgrund.

Briefmarke Ruine Agstein, Niederösterreich

Briefmarke Ruine Aggstein
5 S, Republik Österreich 1973
Sammlung Morscher privat

Wenn nun Räuber Schreckenwald einen Wanderer aufgelauert und ihn gefangen und beraubt hatte, schleppte er ihn hinauf in dieses enge Felsenbehältnis, das er mit verruchtem Scherz seinen Rosengarten hieß, und ließ da dem Unglücklichen die Wahl, ob er verschmachten oder in den tiefen entsetzlichen Abgrund sich stürzen wollte. Diese Untaten trieb Schreckenwald lange Zeit, bis es sich zutrug, daß er einst einen Jüngling fing, welcher ein kühner und gewandter Springer und Kletterer war; auch dieser ward von dem starken Räuber in seinen entsetzlichen Rosengarten gestoßen und die furchtbare Wahl ihm freigestellt. Mit kundigem Auge maß er des Sprunges Tiefe, sah Bäume unter sich aufragen, befahl Gott seine Seele und sprang in den Schauerschlund, doch wußte er des Sprunges Richtung so zu nehmen, daß er auf einen Baumwipfel fiel, den er alsbald mit starker Hand erfaßte; leicht glitt er dann in die Tiefe, wo die Gebeine der vor ihm Herabgestürzten und Zerschmetterten moderten, und fand glücklich einen rettenden Ausweg. Jetzt tat er die Lage des furchtbaren Raubnestes kund, sammelte eine tapfere Schar, lauerte Schreckenwald. auf und fing ihn, der seine wohlverdiente Strafe empfing. Darnach entstand das Sprichwort im Volke, wenn von einem Menschen die Rede, der aus höchster Not nur mit Leibesund Lebensgefahr sich retten kann: "Er sitzt in Schreckenwalds Rosengärtlein."

Quelle: Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Österreich, Ludwig Bechstein, 1840