Der Schloßgeist von Hinterhaus.

Ober Spitz, den Eingang ins Tal der Ranna bewachend, hebt sich am Hang des Jauerling die Ruine Hinterhaus. Hier saß in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, da Rudolf von Habsburg des Reiches Krone trug, der Kuenringer Heinrich, ob seiner Tapferkeit der Eiserne zubenannt. Er war im Gegensätze zu seinen Anverwandten, den bissigen Hunden, ein rechtlicher Mann, dem König in Treue ergeben und ihm ein wackerer Gefolgsmann in den Kämpfen gegen den Böhmen Ottokar.

Mindere Treue scheint Heinrich in seinem Eheleben bewahrt zu haben; denn nach dem Verscheiden seiner ersten Gemahlin Adelheid von Feldsberg schritt er binnen wenigen Monaten, ohne der Verewigten in schmerzlichem Gedenken ein Jahr zu weihen, zu einer zweiten Ehe.

Solche Mißachtung des gebräuchlichen Trauerjahres wurde ihm allgemein gar sehr verübelt, und als er selbst nicht lange darauf eines plötzlichen Todes verschied, erblickte man darin eine Strafe des Himmels.

Seit der Zeit soll's in der Burg und später in der Ruine nicht richtig sein. Viele wollen gesehen haben, wie sich der Geist Adelheids alljährlich in Heinrichs Todesnacht in den Fenstern zeigt... in schneeweißem Leichengewande und winkend mit der Totenhand ... ja, die alte Wimmerin in Erlahof soll steif und fest behauptet haben, sie habe einmal, da sie sich beim Holzklauben in die Nacht hinein verspätet, die Frau Adelheid allfort jammern gehört: "Nit ein Jahr! Nit ein Jahr!"

Arge Zweifler vermeinen freilich, es sei nur das Spiel des Mondlichtes und des Windes Geraune in dem alten Gemäuer, das einer lebhaften Phantasie willkommene Nahrung biete ... mein Gott, was wissen solch trockene Verstandesmenschen, wie das Volk seine sittlichen Ideale verkörpert!

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 61 - 62.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.