St. Koloman.

Zur Zeit, da Markgraf Heinrich, zubenannt der Starke, des Ersten Leopold Sohn, in Melk saß, kam ein armer Pilger aus dem heiligen Lande wegmüde nach Stockerau, wollte um den Gotteslohn Herberge, redete aber eine Sprache, die niemand verstehen mochte. Es waren aber de Zeitläufte nicht derart, daß man ob des fremden Menschen nicht Argwohn und Mißtrauen hegte. Hatte ja des regierenden Markgrafen Vater seine Mark erst durch schwere Kämpfe mit den Ungarn oder Magyaren sichern müssen, und Heinrich selbst mußte sich mit starker Hand der Böhmen und Polen erwehren. Auch trieben sich des öfteren Späher herum, taten, als seien sie heischende Bettler, suchten Gelegenheit zu feindlichen Einfällen wahrzunehmen. Demnach mochte der fremde Mann Wohl auch so ein Ausspäher sein, ward also festgenommen und ins Verlies gebracht, in der Anwartung, die Leiden des Hungers, der Dunkelheit und der schlechten Luft würden ihn, der sich nur verstelle, sicherlich dahin bringen, daß er sich einer verständlichen Sprache befleiße und seiner Ankunft Zweck nach Wahrheit offenbare.

Da aber der Fremdling gleichwohl nicht deutsch reden wollte, hielt ihn das Volk für einen verstockten Bösewicht, schleppte ihn auf das freie Feld, so gegen die Donau sich dehnt, zersägte ihm nach vielen Peinen die Schienbeine und richtete den gemarterten Mann am Zweige eines verdorrten Hollerbaumes vom Leben zum Tode. Ließen auch den Leichnam, preisgegeben dem Sonnenbrand und Regenschauer und den Vögeln des Himmels, des langen an jenem Baum hängen, meinend, es habe den tückischen Spion zum warnenden Exempel die wohlverdiente Strafe getroffen.

Wie erschraken jedoch die Bürger, als sie sehen mußten, daß sich kein Raubgewild dem Leichnam nahte, der arme Leib, ohne in Verwesung zu gehen, seine Lebensfarbe beibehielt, ja daß der abgestorbene Baum zu neuem Leben ergrünte und der Zweig, der des Leichnams Hals umschlang, mit frischen Knospen reiche Blüten verhieß. Alsbald erkannten sie, in großer Reue die Brust schlagend, wie daß sie in sündhafter Übereilung einen Unschuldigen gestraft, und bestatteten, Gott und des gemordeten Mannes Seele um Vergebung flehend, den Leichnam im Schatten des Richtbaumes zur Ruhe.

Währte nicht lange, so kam bei andauernden, gar heftigen Güssen die Donau bis gegen Stockerau, in wilder Flut alles mit sich fortreißend; doch, o Wunder, verschonte, ihn sanft umspülend, den niedern Hügel, so auf dem Grabe des Märtyrers sich wölbte, als ein Heiligtum.

Wie nun Markgraf Heinrich von all den Geschehnissen Kunde erhielt, ließ er den Leichnam, der zum Erstaunen aller Anwesenden einen überaus wohlriechenden Duft ausströmte, durch den Bischof Meinhard von Halberstadt nach Melk überbringen und am 13. Oktober des Jahres 1014 in der Stiftskirche daselbst ehrenvoll beisetzen.

Zur nämlichen Zeit begab es sich, daß ein der Volkssprache ein wenig kundiger Mann nach Stockerau kam, erzählend, er heiße Gotthalm und suche seinen, vielgeliebten, frommen Herrn, Prinzen Koloman aus Irland, so aus eigenem Antrieb eine Pilgerreise nach Jerusalem unternommen und seit mehr denn zweier Jahre zur größten Betrübnis seiner königlichen Eltern nichts mehr von sich habe hören lassen. Nie nun die Stockerauer diesen Gotthalm um das Aussehen und die Umstände des gesuchten Prinzen befragten, trat zum Entsetzen aller klar zutage, an wem sie die schwer-bereute Tat begangen, und sie wiesen den treuen Diener unter vielen Zähren nach Melk, allwo er den durch Wunder verherrlichten Leib seines Herrn finden werde. Es war aber Gotthalm durch so lange Wanderfahrt dermaßen matt und siech am Leibe, daß er, ehe er sein Ziel erreichte, in einem Gehöfte unweit Melk verschied, worauf ihn die guten Mönche nach Gebühr in ihrer eigenen Gruft bestatteten, auf daß er seinem Herrn wenigstens im Tode nahe sei.

Noch sei erwähnt, daß St. Koloman seinen Willen, für alle Zeit des Stiftes Melk gnädiger Patronus und Schutzherr zu bleiben und daselbsten die Urstände zu erwarten, ganz unzweideutiglich kundgetan. Als nämlich, wie eine Bildnistafel in einem Gange des Stiftes erzählt, "auf hefftiges Begehren Stephani deß Ersten Königs in Ungarn der heilige Leichnam anno 1015 über die Leitha entführt wurde, wurden die Ungarn ob diesem Raube durch endlose Plagen heimgesucht und gestraft, und ward hierauf der heilige Leib vor Verfließung eines Jahres mit vielen Brunknussen nach Mölk zurückgebracht".

Seitdem ruhen des heiligen Märtyrers Koloman verehrungswürdige Gebeine in einem Steinsarkophage auf dem Altar im rechten Querschiffe der Stiftskirche.

Dieweil der Heilige aber, obschon ein Prinz von Geburt, um Christo ähnlich zu sein, die Leiden der Armut freiwillig auf sich genommen, haben die Mönche zu seinem Gedächtnis alljährlich am Tage seines martervollen Todes den Armen mit Wein und Brot eine Labung bereitet. Kamen jedoch der Heischenden, die des Brotes und noch mehr des guten Trunkes begehrten, so viele, daß ein Abbas, den gehabten großen Aufwand zu vermeiden, die frommen Gaben einzustellen beschloß. Allsogleich senkte sich ein Gang des Klosters wohl zweier Stufen tief, worauf die Mönche, St. Kolomans Willen erkennend, ihr Gelübde schleunigst erneuerten.

Die Bürger von Stockerau haben an der Stelle, wo der vermeintliche Späher eines qualvollen Todes verstorben, eine Sühnkapelle erbaut; am Bischofstor der Stephanskirche zu Wien aber ist in einem Rahmen aus Messing der Stein eingemauert, auf den das Blut geflossen, als dem heiligen Märtyrer die Schienbeine zersägt wurden. Viele Bischöfe haben allen Gläubigen Ablaß verliehen, so den Stein ehrerbietig küssen würden ... davon ist die Geschrift des Steines nicht mehr zu lesen.

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 24 - 28.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.