WACHAUSAGEN - Josef Wichner

Vorwort

Schon oft ist der Wunsch nach einer Sammlung der schönsten Sagen und Legenden aus der Wachau ausgesprochen worden. Diesem Wunsche bin ich in dem vorliegenden Büchlein gerne nachgekommen.

Sagen und Legenden können auf verschiedene Art erzählt werden.

Die eine ist die des Forschers. Er verzeichnet das überlieferte Sagengut mit der peinlichsten Genauigkeit, in Schlagworten, im Telegrammstil, und behängt den Text mit gelehrten Erläuterungen. So wertvoll solche Sagensammlungen sind, so tiefe Einblicke sie bis in die werdende Kultur fernster Zeiten gestatten, so gründig sie den geschichtlichen und mythischen Kern ausschälen, weitere Kreise gehen der Arbeit mühsamen Mit- und Nachdenkens aus dem Wege, sie verlangen mühelosen Genuß.

Die zweite Art ist die des Dichters. Ihm ist das überlieferte Gut nur Stoff, den er nach Belieben in diese oder jene Form gießt. Er macht sich kein Gewissen daraus, ihn mit seinen Einfällen so zu umranken, daß man den Ursprung oft kaum mehr zu erkennen vermag.

Ist der Forscher in seinen Aufzeichnungen fast überängstlich, so der Dichter, fast möchte man sagen, gewissenlos. Ist der Forscher in seinen Aufzeichnungen bis zur Kälte trocken, wie ein Operateur scheinbar herzlos, so bedient sich der Dichter einer blumigen Sprache, er vermag aus der einfachsten Handlung einen Roman zu spinnen, und der Leser fühlt im Werke des dichterischen Herzens warmen Schlag.

Ich hielt dafür, zwischen beiden Arten auf der Mittelstraße zu wandeln. Das überlieferte Volksgut war mir heilig. Um es aber weiteren Kreisen zu vermitteln, um die Lust des Lesens zu fördern, gestattete ich mir, völlig im Geiste der Überlieferung, da und dort einige Lichter aufzusetzen. Hiebei handelte es sich meist nur darum, die in der Sage liegende sittliche Idee klarer hervortreten zu lassen und, da jede Sage kindlichen Glauben an ihre Wirklichkeit voraussetzt, mich in etwas an die kindlich-naive Sprache jener leider vergangenen Zeiten anzulehnen, da Frau Poesie noch überall, in der Burg wie in der Hütte, Herberge fand.

Mitten im rauhen Kriegslärm ist dies Büchlein schüchtern zutage getreten. Seitdem ist nicht ein Jahr, vergangen, daß eine neue Auflage nötig ward, ein erfreuliches Zeichen, daß in den Menschen die Sehnsucht nach den Künsten des Friedens nicht erstorben ist, daß die Liebe zur herrlichen Heimat gerade durch den Krieg neue Nahrung gefunden hat, und so mag denn das Büchlein den vielen Freunden der schönen Wachau allfort eine willkommene Gabe sein.

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 5 - 6.