Die Wahnsinnige von Aggstein.

Eine Kahnfahrt durch die Wachau in magischer Vollmondnacht mag immerhin wunderbar schön sein, hat jedoch auch seine Gefahren, vorab so einer zuvor dem Weine allzu stark zugesprochen hat. Nicht davon zu reden, daß der Mond ein Schalk ist und mit seinem Silberblink das Auge täuscht, so daß des Stromes nicht meisterlich kundige Fahrleute leicht mögen stranden und ein ungewolltes Bad nehmen. Nicht zu reden davon, daß der Mond im Waldeinblick mit den scharfen und beweglichen Licht- und Schattenspielen allerlei Gespenster glaubhaft machen will, so daß selbst ein mutiger Mann froh ist, der unheimlichen Stromenge, namentlich zwischen Melk und Spitz, glücklich entronnen zu sein.

Vor langen Zeiten gesellten sich zu den Schauern der Nacht noch die Verführungskünste der Wahnsinnigen von Aggstein. Die saß in hellen Mondnächten auf der aus düstern Waldbergen in die Wolken ragenden Felsklippe, allwo später die Burg Achstein erbaut wurde, kämmte gleich der Loreley des Rheines ihr goldenes Haar und sang bezaubernde Lieder von Lust und Leid der Liebe. Dazu tanzten ihre neun Töchter auf den Silberkämmen der Woge ihren Reigen. Vergaß nun, was vorab leicht zu betörenden Jünglingen leicht geschah, der Ferge des Ruderns, so daß der Kahn im wild dahinstürmenden Gewässer umkippte, dann lachte die Wahnsinnige gell auf, stürzte sich von ihrem Thronsitze mächtigen Schwunges in die Flut, wirbelte den armen jungen Menschen in ihren Wasserpalast auf dem Grunde des Stromes, wo auch der Goldhort der Amelunge verborgen liegt, und hielt die Seele des Ertrunkenen unter einer Glasglocke gefangen.

Die Herren Gelehrten wollen wissen, es sei diese Wahnsinnige von Aggstein die Nixe Ran, des Winterstromgottes Agez räuberische Gemahlin, von der zwei Ortschaften, mehrere Schlösser und der bei Spitz aus dem Mühldorfer Tale mündende Bach zubenannt sei. Nun ... sei dem wie immer ... der Name ist dem Gedächtnisse des Volkes mit dem Glauben an die heidnischen Götter entschwunden, eine Nachtfahrt am Aggstein vorüber aber scheut es noch immer, und manch ein Männlein oder Weiblein schlägt ein Kreuz, auf daß der Spuk ihm nichts anhaben könne.

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 48 - 50.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.