15. Das verschwundene Kind.

Es war in den ersten Tagen des Monats Dezember, in der Zeit also, in der die Erwachsenen unfolgsamen Kindern zu drohen pflegen: "Warte, der Nikolaus horcht schon draußen. Gib nur acht, dass er dich nicht holt!" Der kleine Franzl wollte an diesem Tage der Mutter durchaus nicht parieren, und weil es schon dunkel geworden war, drohte sie ihm schon mehrmals mit dem Nikolaus und Krampus. Schließlich riss ihr aber die Geduld. Da sie gerade jemanden von den Hausleuten beim Hoffenster vorbeigehen zu sehen glaubte, öffnete sie das Fenster und rief: "Nikolo, nimmt den unfolgsamen Franzl mit!" Sie hörte ein bejahendes Brummen, das schreiende und zappelnde Kind wurde ihr aus der Hand genommen und sie schloss das Fenster. Als es Zeit wurde, das Abendessen einzunehmen, rief die Mutter die Hausleute herein. Da Franzl nicht mit ihnen hereinkam, fragte sie, wo sie ihn denn gelassen hätten. Es hatte ihn aber den ganzen Abend keines von ihnen gesehen. Ungläubig sagte die Mutter: "Ich habe ihn euch doch beim Fenster hinausgereicht. Ihr habt ja noch so gebrummt wie der Nikolo und ihn mir aus der Hand genommen!" Niemand von den Hausleuten wusste etwas davon und das Kind war und blieb verschwunden.

Lehrer Robert Zelesnik, Hohenau, nach Karl Worlitschek bzw. Magdalena Bartosch;

Quelle: Sagen, Schwänke und andere Volkserzählungen aus dem Bezirk Gänserndorf. Hans Hörler, Heinrich Bolek, Gesammelt von der Lehrerschaft des Bezirkes Gänserndorf 1951. Neuauflage 1967.
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