16. Der Wechselbalg.

In einem Hohenauer Bauernhaus bemerkten die Bewohner, dass jedes Mal, wenn sie vom Felde heimkamen, allerlei von den Speisen fehlte: das Brot war abgeschnitten, das Schmalz war weniger usw. Da sich die Leute das nicht erklären konnten, wandten sie sich an eine weise Frau: Diese meinte zuerst: " Ist wirklich niemand im Hause, wenn ihr weggeht?" Sie versicherten, es sei bestimmt niemand im Hause, nur das Kind liege in der Wiege. Da fragte die Frau, ob ihnen an dem Kinde nichts aufgefallen sei. Darauf antworteten die Leute: "Es hat ein auffallend altes Gesicht, so wie ein Erwachsener!" Die weise Frau gab ihnen folgenden Rat: "Ihr müsst in der Stube, in der das Kind liegt, auf der Erde ein Feuerchen anmachen, rundherum stellte halbe Eierschalen, die mit Wasser gefüllt sind, auf, und dann beobachtet durch das Schlüsselloch das Kind!" Sie taten so, wie es ihnen aufgetragen worden war. Da sahen sie, wie das Kind aus der Wiege stieg, um das Feuerchen herumtanzte und sang: "So alt ich bin, so lang bin ich ein Teufelein, doch nie sah ich kochen in solchen Töpfelein!" Dann ging es hin, schnitt sich Brot ab, bestrich es mit Schmalz und ließ sich’s gut schmecken. - Da erzählten die Leute der weisen Frau, was sie gesehen und gehört hatten. "Ihr habt einen Wechselbalg", sagte diese. "Was sollen wir da tun?" jammerten die Leute und baten um Rat. "Ihr müsst", sagte die weise Frau, "nach dem Gebetläuten mit dem Wechselbalg an eine Wegkreuzung gehen und ihn dort durchprügeln. Dann lasst ihn liegen und geht nach Hause. In aller Früh vor Sonnenaufgang müsst ihr aber wieder an dem Kreuzweg sein. Dort werdet ihr dann das richtige Kind vorfinden, das allerdings genauso verprügelt sein wird, wie der Wechselbalg. Verschlaft aber ja nicht!" Die Leute taten alles, was ihnen aufgetragen worden war, und fanden wirklich am Morgen an der Wegkreuzung das richtige Kind, das aber erbärmlich verprügelt war.

Lehrer Robert Zelesnik, Hohenau, nach Karl Worlitschek bzw. Magdalena Bartosch;

Quelle: Sagen, Schwänke und andere Volkserzählungen aus dem Bezirk Gänserndorf. Hans Hörler, Heinrich Bolek, Gesammelt von der Lehrerschaft des Bezirkes Gänserndorf 1951. Neuauflage 1967.
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