1. Wie die armen Seelen reden.

Einmal starb ein reicher Ganz-Lehner und der wurde halt mit allem Zierate, den man bei der Gelegenheit zu verwenden pflegt, aufgebahrt. Sein Haupt lag auf einem roten Seidenpolster. Der Leib steckte im schwarzen Feiertagskleide. Auf der Brust lag ein kleiner Christus und die Hände umschlang ein elfenbeinener Rosenkranz.

Es mochte etwa Mitternacht sein, so erzählte ein Augenzeuge, da pochte es plötzlich heftig an die Fenster der Stube und es war, als wenn der Tote erzitterte. Ein Modergeruch erfüllt den Raum, die Totenlichter flackerten mächtig auf, - ich stürzte voll Angst zur Türe hinaus, um die Kinder des Bauern aus dem Nebenzimmer zu holen. Keines getraute sich aber in die Leichenstube. Wie es endlich Morgen wurde, fassten wir Mut und traten ein. Es war beim ersten Blicke nichts verändert. Nur die Kerzen waren tief herabgebrannt und das Öllämpchen leuchtete dumpfer. Wie wir aber naher an den Sarg herantraten, da gewahrten wir zu unserem Entsetzen, dass der Überden, womit der Tote bedeckt war, stark zerknittert unter dem Tisch und der Rosenkranz, seinen Händen entwunden, nebenbei auf dem Sargdeckel lag. Als wir uns später um die Ursache dieser schrecklichen Szene erkundigten, sagte uns der geistliche Herr, dass der Ganz-Lehner im Leben heimlich Protestant geworden sei und also den Rosenkranz nicht "ins Grab mit" verdient habe.

Hans Schukowitz, Mythen und Sagen aus dem Marchfelde. Zeitschrift für österreichische Volkskunde. Wien, II/1896, S. 277-278 (Überden = Übertuch, Totenschleier);

Quelle: Sagen, Schwänke und andere Volkserzählungen aus dem Bezirk Gänserndorf. Hans Hörler, Heinrich Bolek, Gesammelt von der Lehrerschaft des Bezirkes Gänserndorf 1951. Neuauflage 1967.
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