ZWEI FINGER FÜR DEN FRIEDEN

Zur Zeit der Franzosenkriege im Jahr 1809 lebte in Guntersdorf die Wasenmeisterin Pittdorfer. Ihre beiden Söhne waren zwar stark wie Bären, aber sonst zu nichts zu gebrauchen. Sie wollten nur ihren Frieden und jeden Tag ein paar Krüge voll Wein für ihren Durst. Nicht, dass sie dafür gearbeitet hätten, nein, die Arbeit erledigte ihre Mutter. Tagsüber schliefen sie ihren Rausch aus und in der Nacht organisierten sie sich den Wein aus einem der zahlreichen Weinkeller des Ortes oder der näheren Umgebung. Mit einem großen Krampen schlugen sie die schweren Schlösser auf, dann drangen sie ein, zündeten einen der bereitliegenden Kienspäne an und machten sich über die Fässer her. Immer wieder kam es vor, dass sie leere Keller fanden; da hatten die Bauern aus Angst vor den französischen Truppen schon vorher den Wein in Sicherheit gebracht.

In diesen unruhigen Tagen kamen auch immer wieder Kommissionen, aus Lande. Auf die Frage, wo denn ihre beiden Buben seien, die sonst bei jeder kleinen Rauferei die ersten waren, aber in der letzten Zeit kaum gesehen wurden, antwortete die alte Wasenmeisterin stets: "Die sind in Marchfeld. Dort wollen sie sich vom Erzherzog Karl werben lassen. Sie werden dann eine schöne Montur bekommen und müssen nicht mehr vor jedem Laufknecht katzbuckeln!" So musste die Kommission unverrichteter Dinge abziehen.

Die zwei setzten ihr wildes Treiben fort, bis eines Tages der Forstmeister allen Ernstes sagte, er würde die beiden glatt weg erschießen, wenn er sie zu Gesicht bekäme, und keiner hätte nachher was dagegen, denn er würde sagen, es wäre ein Versehen gewesen. Angesichts dieser Drohung bekamen es auch die beiden mit der Angst zu tun.

Als es Abend wurde, gingen sie in die Scheune zu jenem Hackstock, wo sie schon so viele Hühner geköpft hatten. Der größere von den zweien, Anton, legte seine Hand auf den Hackstock und sagte: "Zwei Finger für den Kaiser, aber um keinen mehr, aber ziel genau, ehe du hinhaust, sonst geht' s dir schlecht!"

Wem nämlich zwei Finger von der rechten Hand fehlen, der kann kein Gewehr halten, der ist beim Heer nicht zu gebrauchen. Und wenn sie ihn fragen würden, wie er denn die Finger verloren hätte, würde er sagen, dass sie ihm die Franzosen abgeschossen hätten. Der jüngere Bruder könnte wohl auch nicht eingezogen werden, denn der musste seiner Mutter wohl bei der Arbeit helfen; das würde auch die Kommission einsehen.

Dreimal musste es der jüngere Bruder probieren, ehe er es schaffte, dem Anton mit der Axt zwei Finger der rechten Hand abzuschlagen. Als er es endlich vollbracht hatte, sank er sogleich bewusstlos nieder. So blieb dem Anton nichts anderes übrig, als sich selbst mühevoll mit der linken Hand die Wunde zu verbinden, um nicht zu verbluten. Dann trank er einen ganzen Krug Wein und sank in das Stroh nieder.

Am nächsten Tag kam die alte Pittdorferin in die Scheune und fand ihre beiden Buben tief schlafend vor. Anton hatte Wundfieber bekommen und phantasierte. Es war jener Tag, als Erzherzog Karl die Schlacht gewann und als Sieger gefeiert wurde. Nach einigen Tagen ging es dem Anton schon wieder besser. Er musste nun nicht mehr einrücken, hatte aber auch zwei Finger weniger an seiner rechten Hand.

Quelle: Das Weinviertel in seinen Sagen, Thomas Hofmann, Weitra 2000, S. 20