DIE MARIENLILIE ZU OBER-MALEBARN

Marienkapelle bei Obermallebarn; Harald Hartmann

Die Marienkapelle bei Obermallebarn
© Harald Hartmann, September 2008

Über dem schönen Hochaltar der sehenswerten Pfarrkirche Ober-Malebern (Weinviertel) erblickt man auf einem reich vergoldeten, geschmackvoll aus Holz geschnitzten Tabernakel von gotischer Form ein hölzernes Marienbild, welches weit und breit im Rufe der Wundertätigkeit steht und wohin viele Gläubige sich hilfesuchend und vertrauungsvoll hinbegeben.
Von dieser Schmerzensmutter des Heilandes besteht eine der lieblichsten Legenden. Mann kann von ihr sagen, daß die Kunde der Marienlilie zu Malebern eine im Verborgenen blühende Blume ist, die kein lobpreisender Mund noch ausposaunt hat.
Dieses Liebfrauenbild stand früher unweit von Ober-Malebern am Wege nach dem Nachbarorte Untergrub in einer kleinen Kapelle.
Diese war schon dem Verfalle nahe, das Mauerwerk war locker geworden und der Regen benetzte schonungslos das heilige Madonnenbild.
Eine Ausbesserung der Kapelle war daher unerläßlich notwendig und deshalb ward eine Opferbüchse angebracht, um milde Beiträge einzusammeln. Reichlich flössen auch die Pfennige der Armut, doch manchem vorübergehenden Armen fehlte freilich der Pfennig, den er gern gegeben hätte.
So ging es auch einem andächtigen, sehr dürftigen Mädchen, das eines Tages vor der Kapelle ein Ave-Maria mit voller Seele betete. Ein heimlicher Wurm schien in ihr zu nagen, denn die blasse, leidende Miene ihres Gesichtes verriet entweder ein körperliches Unwohlsein oder Seelenleiden.
Sie wurde in ihrer Andacht durch das Rasseln eines Wagens gestört, welcher vor der Kapelle stillehielt und welchem eine Frau entstieg, die in allen Stücken das Gegenteil des Bauernmädchens war, mit welchem sie nur das gemein hatte, daß sie ebenfalls ein kurzes Gebet sprechen und eine Opfergabe als Beitrag zum Kapellenbau beitragen wollte.
Die Angekommene war reich gekleidet, wohl beleibt und schien sehr ungern den Betschemmel mit dem armen Mädchen teilen zu müssen. Ihre Miene schien diese aufzufordern, den Platz zu räumen. Die Dirne aber betete fort und nahm, in ihre Andacht vertieft, von dem stummen Befehle keine Notiz, sie würde auch den Abgang der Frau kaum bemerkt haben, wenn diese nicht in die Opferbüchse ein schweres Goldstück geworfen hätte.
Dieser Anblick schnitt dem jungen Landmädchen tief in die Seele; es fühlte das Drückende seiner Lage. Konnte es doch zur Verherrlichung der Himmelskönigin gar nichts beitragen.
Die Tief betrübte hielt einen halbabgedorrten Lilienstengel in der Hand, den sie auf dem Hefwege in einem Garten gepflückt hatte. Als die Frau weitergefahren war, nahte sie mit Zittern sich dem heiligen Bilde, gab ihm die halbverdorrte Lilie mit tränenden Augen in die Hand und entfernte sich mit blutendem Herzen. Die Gabe der Armut wirkte Wunder: die verwelkte Lilie fing zu grünen und zu blühen an. Die Nachricht von diesem Wunder hatte sich bald weit verbreitet und scharenweise kamen Wallfahrer her, um sich von der wunderbaren Sache zu überzeugen. Bald erhob sich ein neues Bethäuschen, wo das alte gestanden, und zahllos sind die Beispiele, daß Kranke und Gebrechliche sich bei dem Wunderbilde mit der Lilie Gesundheit erfleht haben. Den 15. November 1832 wurde das Madonnenbild in feierlicher Prozession in die Pfarrkirche zu Ober-Malebern übersetzt, wo es noch fortwährend verehrt und häufig besucht wird.
(Realis, Österr. Morgenblatt, 1840.)

Quelle: Carl Calliano, Der niederösterreichische Sagenschatz, Bd. V, Wien 1936