DER RASTLOSE SCHLOSSGEIST VON NlEDERLEIS

Schloss Niederleis in der Niederung des Buschberges ist ein uraltes Wasserschloss. Im Laufe der Jahrhunderte wurde es mehrmals von fremden Kriegern zerstört, aber immer wieder auch von neuem aufgebaut. So lässt sich heute zwar manches in seiner langen Geschichte rekonstruieren. Wann der neckische Schlossgeist seinen Einzug in die alten Mauern hielt und woher er kam, weiß niemand mehr so ganz genau. Wohl aber erinnert man sich an dessen erstes Auftreten.

Es war zu einer Zeit, als das Land schon mehrmals vermessen worden war, und man nun daran ging, auch Kirchen, Schlösser und große Häuser, von denen keine Pläne existierten, im Detail zu vermessen. Da Schloss Niederleis fünf Türme aufweist, stellte die Vermessung selbst für kundige und erfahrene Vermesser eine große Herausforderung dar. So wurde für diese schwierige Aufgabe eigens eine Gruppe von Experten aus Wien geholt, die mit Maßband, scharfen Augen und spitzem Bleistift das Werk begann. So manch wertvolles technisches Gerät war für die Arbeiten notwendig, speziell, wenn es darum ging, die Höhe des Uhrturmes zu vermessen.

Eines Tages suchten alle Vermesser verzweifelt nach dem Messgerät, das notwendig war, um den Uhrturm exakt zu vermessen. Doch so lange auch alle suchten, dieses - obendrein noch sehr teure Gerät - war nicht aufzutreiben. Sie trösteten sich und meinten, es wohl in Wien vergessen zu haben. So fuhr einer von ihnen eigens nach Wien, um das dort vermutete Gerät zu holen. Aber auch dort war es nicht aufzufinden. In der Zwischenzeit aber fanden seine Kameraden das lang gesuchte Gerät in einem Winkel des Schlosses, wohin es mit Sicherheit keiner von ihnen je gelegt hatte.

Da war allen klar, dass es wohl der Schlossgeist gewesen sein musste, der ihnen den Streich gespielt hatte. Erleichtert über das wiedergefundene Vermessungsgerät tranken sie in der Schlosstaverne eine Runde, gaben dem Geist den Namen "Dagobert" und freuten sich, dass er sich das Gerät nur ausgeborgt hatte, um es ihnen nun doch wieder zurückzugeben.

Auch heute noch, nachdem die Vermesser schon lange abgezogen sind und genaue Pläne existieren, taucht der unberechenbare Schlossgeist immer wieder auf. Die Bewohner des Schlosses haben sich aber inzwischen schon daran gewöhnt. Wenn sie etwas nicht finden, wissen sie, dass es "Dagobert" versteckt hat und es für sich benötigt, der gesuchte Gegenstand aber irgendwann wieder auftauchen wird.

Wenn aber je ein Gegenstand für immer verschwunden bleiben sollte, dann ist wohl auch "Dagobert" etwas zugestoßen.

Quelle: Das Weinviertel in seinen Sagen, Thomas Hofmann, Weitra 2000, S. 190