DIE TOTENMESSE ZU OBERRUSSBACH

Es begab sich in einer stürmischen Silvesternacht, der Burgkaplan von Oberrußbach saß in seiner warm geheizten Kammer und las neugierig in der alten Pfarrchronik las.

Er war ganz vertieft in die alten Zeiten und die Gesichter so mancher, die schon lange nicht lebten, zogen vor seinem geistigen Auge vorbei. So sehr war er in seinen Gedanken versunken, dass er gar nicht merkte, wie es allmählich kühler und kühler wurde in seinem Zimmer. Nur hie und da riss ihn der heftige Dezembersturm aus seinen Gedanken.

So vergingen die Stunden, als er auf eine Stelle in den alten Schriften stieß, die ihn aufmerken ließ. "Es ist keine Einbildung, sondern Wahrheit, dass in unserer Kirche zwischen 12 und ein Uhr in der Silvesternacht alle versammelt sind, die im neuen Jahr sterben werden." Er wusste nicht recht, ob er den Worten trauen sollte oder ob es nur leere Worte waren. Während er noch so überlegte, schlug die nahe Kirchturmuhr auch schon zwölf Uhr. Deutlich konnte er die Glockenschläge hören und mitzählen. Während er noch hin- und herüberlegte, hörte er von der Kirche Orgeltöne und den Gesang des "Kyrie eleison". Jetzt wurde er erst endgültig neugierig und wollte Nachschau halten, wer zu so später Stunde in der Kirche eine Messfeier abhielt.

So nahm er den Mantel, setzte seinen Hut auf, ergriff eine Laterne und machte sich mit dem Kirchenschlüssel in der Hand auf den Weg. Rasch schritt er durch den Friedhof zur Kirche. Dort sperrte er die Türe auf und sah zunächst einmal gar nichts. Erst langsam gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis, die nur durch den kargen Schein des Ewigen Lichts erhellt wurde. Da bemerkte er, dass die Bänke nicht leer waren, sondern durchwegs mit Gestalten besetzt. Er konnte den Richter, den Bäcker, den Schmied mit seiner Familie, aber auch den Burgherrn und noch viele ihm vertraute Gesichter erkennen. Und alle hatten weiße Totengewänder an. Als er zum Altar blickte, sah er einen Priester - bei genauerem Hinschauen sah er sein eigenes Spiegelbild. Tief entsetzt wandte er sich ab. Zum Glück schlug in diesem Moment die Turmuhr eins und der Spuk war mit einem Schlag wieder vorbei.

Rasch entschlossen, aber noch mit zitternden Knieen schritt der Kaplan zurück in seine Kammer. Dort fügte er auf der letzten Seite der Chronik die Namen all jener hinzu, die er in der Kirche gesehen hatte. An den Schluss setzte er schließlich seinen eigenen Namen.

Nun verging im Dorf ein Jahr, die Häuser wurden leer und große Trauer breitete sich aus. Als es daran ging, am Silvestertag in die Kirche zu gehen und dem Herrgott für das vergangene Jahr zu danken, waren es nur mehr ganz wenige, die sich auf den Weg ins Gotteshaus machten. Auch der Priester fehlte dort - der "Schwarze Tod" hatte alle dahingerafft, die der Kaplan ein Jahr zuvor in der Silvesternacht gesehen hatte.

Quelle: Das Weinviertel in seinen Sagen, Thomas Hofmann, Weitra 2000, S. 152