Das Raubschützenkreuz
Raubschützenkreuz © Harald Hartmann

Raubschützenkreuz
© Harald Hartmann, 23. Februar 2006

In der Nähe der Gemarkung von Haselbach und Streitdorf erhebt sich ein gemauertes Marterl, welches das „Raubschützenkreuz" genannt wird. Den Namen führt es nach einem Wilderer, der einst in der Gegend gelebt haben soll und der den Jagdbesitzern gar großen Schaden zufügte, in dem er den Hasen Schlingen legte, die Rebhühnernester plünderte und im Walde manches Reh zur Strecke brachte. So oft ihm die Jäger auflauerten, keinem gelang es, des Wilddiebes habhaft zu werden, er wußte sie stets geschickt zu täuschen. „Heut oder nimmer I" sprach eines Abends ein junger, kräftiger Bauernbursche zu seinem Vater. „Heut soll er mir nicht entwischen", nahm seinen Stutzen, seinen Jagdhund und schritt hinaus in die eiskalte Winternacht. „Wenn mich nicht alles täuscht, sucht er heut die Schlingen im Grenzgraben ab. Komm, Lord, wollen ihm's Handwerk legen!" Schon lag das Dorf weit hinter dem Jungbauern zurück, als der Hund plötzlich Laut gab. Was da? den Grenzgraben entlang lief eine Gestalt, in der Rechten die Büchse, mit der Linken einen Hasen nachschleifend. „Halt! oder ich geb' Feuer!" Im Nu hatte der Bauer die Büchse in Anschlag gebracht. „Ich oder du I" scholl's im nächsten Augenblick zurück. Zwei Flüche ertönten, zwei Schüsse blitzten auf, zweier jungen Menschen Blut rötete den frischgefallenen Schnee.

Das war ein Jammer, als der Hund allein im Bauernhause anlangte. In derselben Nacht noch wurden die Felder nach dem Vermißten abgesucht. Im Morgengrauen fand ein Knecht Wilderer und Jäger leblos im Grenzgraben. Seit dieser Schreckensnacht soll es in jener Gegend lange nicht geheuer gewesen sein. Mit der Absicht zu morden und mit einem Fluch auf den Lippen hatten die beiden Männer ihr Leben geendet und konnten im Grabe die Ruhe nicht finden. An der Stelle ihrer Tat sollen sie manches Jahr auf die Erlösung gewartet haben. In finsteren Nächten will mancher, der des Weges kam, zwei Flüche, zwei Schüsse und ein Stöhnen gehört haben. Ängstlich mieden die Leute den Unglücksort bis zu dem Tage, an dem das Marterl, genannt das „Raubschützenkreuz", an der Gemarkung dem Spuke ein Ende setzte.

Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Bd. 5, Heinrich Kirsch, Wien 1936 (Nach Kramer, Wirtschaftsbesitzer, Haselbach.)
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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