DER GEIST AUF RAUHENECK

Über die Ruine Rauheneck, dem einstigen Schlüssel des hochromantischen Helenentales nächst Baden, lautet eine düstere Volkssage: Oft spukt es in den zerfallenen Mauern dieser in der Geschichte der Ostmark hochbedeutenden Burg. Ein Geist - man weiß nicht wer und wessen Standes er in seinem irdischen Leben war - ist von dem Schicksale bestimmt, auf den Trümmern umherzuwandeln, und sehnt sich nun, ächzend und klagend, jahrhundertelang nach der Stunde seiner Erlösung, die von einer Eiche, die aus dem Gemäuer des hohen Turmes emporsproßt, abhängt. "Wenn dieses Bäumlein zu einem starken Stamm gediehen, aus diesem eine Wiege verfertigt und das darin gelegene Kind sich mit reinem Herzen dem Priesterstande widmet", so klagt gar oft der Geist, "dann ist die Zeit nahe, wo er durch dieses erlöst werden kann".

Alle zwölf Stunden schleicht nun seit langen Jahren der arme Geist um den dreieckigen Turm und schaut ängstlich nach seinem Bäumchen, dem allein die Wunderkraft innewohnt, den harten Bann durch eine reine Menschenseele von ihm zu wälzen.


Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band I, S. 9