DACHSTEIN

Einst bedeckten fette Triften den Gebirgsstock des Dachsteins und stattliche Herden weideten dort. Es herrschte solcher Überfluß, daß Schäfer und Tiere sich in Milch badeten, die Schlünde der Berge mit Butter aus: füllten und ihre Küchen und Ställe mit Käse pflasterten. Endlich beschloß Gott, die Hochmütigen zu züchtigen. Eines Tages verfinsterte sich der Himmel, ungeheuere pechschwarze Wolken lagerten sich über die Gipfel, zerbarsten in ganze Lawinen von Schnee und Hagel, während ein schauerlicher Sturm die Felsen übereinander warf. Als das Unwetter vorüber war, waren die lachenden Fluren mitsamt ihren Bewohnern unter ungeheuren Gletschern begraben. Nur bei großer Hitze träufelt ein milchiges Bächlein vom Gosaugletscher. Es ist die Milch, in der sich die Hirten einst badeten.

Einst lebte auf diesen Höhen eine Sennerin von wunderbarer Schönheit, aber voll Stolz und Hartherzigkeit quälte sie ihre Umgebung unaufhörlich. Der Himmel verwandelte sie zur Strafe in eine scheußliche Hexe, verdammt dazu, herumzuirren ohne Rast und Ruh, bis einmal auch für sie die Stunde der Erlösung schlägt. Sie ist sehr böse, behauptet man, und schon mehrfach Bergsteigern in Gestalt einer kleinen furchtbar häßlichen Bettlerin erschienen. Wer sie begegnet, tut gut umzukehren, denn es gibt gewiß einen Sturm oder ein Unglück.

Auch der Teufel selbst wohnt in den Höhlen des Dach; steinstockes. Besonders zur Zeit der nächtlichen Stürme verfolgt er die sündigen Mädchen und schmiedet ihnen zur Strafe für ihre Sünden Hufeisen an die Knie, wovon die zeugen, die man da droben in den Einöden fand.

Schließlich hausen auch schreckliche Tiere, die "Bergstutzen" in der Nähe. Sie haben einen Schlangenkörper mit vier Tatzen, einen Katzenkopf, Giftzähne, einen langen Schweif und recken sich in den Waldschlägen wie Stöcke aus trockenem Holz. Wenn man unglückseligerweise in ihre Nähe kommt, dann werfen sie sich blitzschnell auf einen, durchbohren das Herz und hinterlassen ein Loch in der Brust.


Nach Auguste Marguillier, "A travers le Salzkammergut", 1896 in:
Hans Commenda, Zur Volkskunde des Salzkammergutes vor fünfzig Jahren, in: Volkskundliches aus Österreich und Südtirol, Hermann Wopfner zum 70. Geburtstag dargebracht, Hg von Anton Dörrer und Leopold Schmidt, Wien 1947.