DER WILDSCHÜTZ VOM TOTEN GEBIRGE

In der Gegend von Hinterstoder in einem tiefen Wald, abseits von jedem Verkehr, lebte in einer bescheidenen Hütte ein armer Holzknecht mit seiner Familie und einem Gesellen. Freilich war es ihm weniger um das Holzfällen zu tun, denn die Bäume hätten von ihm aus ewig stehen können. Was ihm viel mehr am Herzen lag, waren die scheuen Rehe, die stolzen Hirsche und die flinken Gemsen, die die Wälder und Berge bevölkerten; er war nämlich ein verwegener Wildschütz, und seine Jagdleidenschaft kannte keine Grenzen. Jahraus, jahrein war er hinter dem Wild her, sein Kamerad genauso. Sie verstanden es, ihr verbotenes Treiben so schlau einzurichten, daß es keinem Jäger gelang, sie je auf frischer Tat zu ertappen, obwohl sie Tag und Nacht auf Lauer lagen.

Als der Wilderer einmal allein im Gebirge einen stattlichen Gemsbock anpirschte, stand, wie aus dem Boden gewachsen, der Satan in Gestalt eines schwarzen Jägers vor ihm.

"Nun, mein Lieber", sagte der Schwarze zu dem Wilderer, "ich sehe, du jagst gern. Was würdest du mir geben, wenn ich dir ein Gewehr verschaffte, aus der jeder Schuß ein sicherer Treffer ist?"

"Das wäre allerdings eine Kunst, die sich sehen lassen könnte", meinte der Wildschütz, und seine Augen funkelten verlangend. ""Aber", setzte er fort, "den Preis einer solchen Büchse kann ich wohl kaum bezahlen!"

"Du kannst es", entgegnete der Satan, "der Preis ist nicht hoch und erst in zwanzig Jahren fällig."

Weil dem Wildschütz nichts lieber war als die Kunst, nie sein Ziel zu verfehlen, begann er mit dem Teufel zu handeln. Schließlich wurden sie sich einig. Der Teufel übergab ihm seine nie fehlende Büchse und verlieh ihm außerdem die Gabe, daß er sich jedesmal, wenn der Jäger in seine Nähe käme, in einen Baumstock verwandeln könne. Dafür wollte sich der Teufel nach zwanzig Jahren zwischen zwölf und ein Uhr nachts an ebendieser Stelle die Seele des Wilderers holen. Nachdem der Wilderer den Vertrag mit seinem Blute unterfertigt hatte, verschwand der Teufel in einer Felsspalte.

Nun war der Wilderer König des Waldes, und kein Wild, das vor seine Büchse kam, entging der nie fehlenden Kugel. Kein Jäger konnte ihm etwas anhaben; denn sooft einer in seine Nähe kam, verwandelte er sich in einen Baumstock.

So trieb es der Holzknecht zwanzig Jahre hindurch und lebte sorglos und im Überfluß; denn sein Jagderfolg brachte ihm reichlichen Gewinn. Nun aber nahte der Tag, an dem der Teufel seinen Preis abholen wollte. Das aber machte dem Wildschütz nicht bange; er glaubte ein Mittel zu wissen, den Satan zu überlisten. Um elf Uhr in der vereinbarten Nacht ging er mit seinem Gesellen in den Wald und nahm ein Stück Kreide und Weihwasser mit. An der Stelle, wo ihm vor zwanzig Jahren der Satan erschienen war, verwandelte er sich in einen Baumstock. Der Knecht mußte mit der Kreide drei Kreuze darauf machen und Weihwasser darüber sprengen. So erwartete er seinen höllischen Vertragspartner.

Als die zwölfte Stunde gekommen war, trat der Teufel aus der Felsspalte und blickte sich nach dem Wildschütz um. Als er den Baumstock mit den drei Kreuzen sah, fluchte er grimmig, aber er bemühte sich vergebens, dem Wilderer im Baumstock beizukommen. Eine geschlagene Stunde tobte und wütete er vor dem geweihten Stock, aber er konnte dem Holzknecht nichts anhaben. Schlag ein Uhr mußte er seine Bemühungen aufgeben, und er fuhr zornsprühend in seine Felsspalte zurück, aus der er gekommen war.

Der Wilderer aber und sein Kamerad jagten ungehindert weiter und freuten sich diebisch, daß sie dem Satan ein Schnippchen geschlagen hatten.


Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich, o. A., o. J., Seite 318