DIE SCHIMMELKIRCHE
Pichlwang, zwischen Lenzing und Timelkam, wurde einmal in kriegerischen Zeiten von Soldaten bevölkert. jeder Hausbesitzer mußte Soldaten aufnehmen und verköstigen. Es waren so viele, daß kaum mehr Platz für die eigenen Familien war. Die Kirche in Pichlwang wurde umfunktioniert in einen Pferdestall. Überall waren Heu, Pferdemist und sonst allerlei Gerätschaften. Einige Bänke wurden herausgerissen, so daß es bald wirklich wie in einem richtigen Stall aussah. Um den Pferdedieben und eventuellen Deserteuren keine Gelegenheit zu bieten, wurde die Kirche immer abgesperrt. Den Schlüssel trug der Kommandant der Soldaten immer bei sich. Die Pichlwanger hatten arg unter den Soldaten zu leiden. Kaum ein Versteck mit Lebensmitteln blieb unentdeckt.
Schimmelkirche, Pichlwang
© Wolfgang
Morscher, 29. Juli 2001
Doch eines Tages gerieten die Soldaten in Panik. Der Feind war sehr nahe,
und die Soldaten stürzten zur Kirche, um ihre Pferde zu holen. Nachdem
die Rösser aus der zweckentfremdeten Kirche geholt worden waren,
schloß der Kommandeur in alter Gewohnheit die Kirchentür wieder
ab und steckte den Schlüssel ein. Es dauerte nicht lange, und die
Soldaten waren so schnell verschwunden, wie sie gekommen waren. Die Pichlwanger
atmeten erleichtert auf, waren aber noch tagelang mit den Aufräumarbeiten
in ihren Häusern und Höfen beschäftigt. Keiner wollte zuerst
in der Kirche anfangen, denn jeder vermutete dort drinnen eine Menge Mist.
Nach drei Tagen läutete plötzlich die Glocke im Kirchturm. Die
Bewohner liefen zusammen. Niemand wußte, wer an dem Glockenstrang
zog. Die Kirche war doch abgesperrt! Erst nach einer Welle faßte
ein Bauer Mut und forderte die Leute auf, die Tür aufzubrechen. Die
Ängstlicheren liefen heim, denn sie vermuteten den Teufel in der
Kirche. Mit Äxten wurde auf die Tür eingeschlagen, dazwischen
war immer wieder in sehr unregelmäßigen Abständen die
Glocke zu hören. Endlich gab die Tür nach, und die Bauern konnten
mit mulmigem Gefühl die Kirche betreten. Wie zum Kirchgang war nun
der Glockenschlag heftiger. Aber welches Bild bot sich den Erstürmern
der zurückgewonnenen Kirche. Im offenen Glockenturm stand ein Schimmel
und nagte an dem Glockenstrang der aus Hanf war.
Schimmelkirche, Glockenseil, Pichlwang
© Wolfgang
Morscher, 29. Juli 2001
Nun fingen die Bauern zu lachen an. Den armen Schimmel hatten die Soldaten
hier einfach eingesperrt. Und was sollte er auch fressen. Der Schimmel
wurde auf die Wiese neben der Kirche geführt, wo er gleich zu grasen
begann. Die Aufräumarbeiten in der Kirche wurden jetzt mit großem
Schwung begonnen. Die Kirche heißt seither die Schimmelkirche.
Quelle: Timelkam / Lenzing, Die Schimmelkirche,
in: Das Hausruckviertel in seinen Sagen, herausgegeben von Erich Weidinger,
Weitra 1996, Seite 183