Nåchtgrawen...

„Buam, kemmts eina, sunst hoit eich Nåchtgrawen!“ hörten wir als Kinder immer, wenn wir abends nicht ins Haus gehen wollten und er zeigte immer Wirkung. Wir wussten zwar nicht genau wer diese Nåchtgrawen war, aber insgeheim waren wir uns im Klaren darüber, dass sie schrecklich sein musste. Angeblich war es eine böse, alte Frau mit langen, weißen Haaren, tausenden von Falten im Gesicht, zwei Höhlen als Augen, zentimeterlangen Fingernägel, barfuss, gekleidet in ein langes, wallendes ebenfalls weißes Gewand. Im Schutze des Nebels der allabendlich aus den Wäldern kroch lauerte sie und nahm alle Kinder mit, die es wagten ihren Weg zu kreuzen.

Wie ein düsterer Schatten saß sie uns immer im Genick; beharrlich darauf wartend uns in ihr Reich draußen in den Wäldern zu zerren. In unserer Vorstellung lebte sie irgendwo tief im Speckholz, weil von dort immer dichter Nebel aufstieg. Manchen Jungen und auch einige Mädchen, die den Warnungen der Erwachsenen nicht gehorcht hatten, soll sie schon in ihr Reich verschleppt haben, von wo sie nie mehr zurückkehrten. Mit ihren hässlichen, abstoßenden, gelben, übel riechenden Zähnen soll sie diese bei lebendigem Leib mit Haut und Haaren gefressen haben. Keine Gnade kannte sie und niemand konnte sie aufspüren oder aufhalten. Es soll aber auch manche Kinder gegeben haben, die ihr im letzten Moment gerade noch entfliehen konnten. Den Warnungen ihrer Eltern zum Trotz, verharrten sie draußen im Freien, weil sie nicht hören wollten. In ihrem kindlichen Übermut und Fantasie waren viele so ins Spielen vertieft, dass sie nicht bemerkten, als langsam die Sonne hinter den Wäldern und Hügeln verschwand, und mit der aufziehenden Kälte sie bereits den Atem der alten Hexe spüren konnten. Eisig umwehte er die spielenden Kinder, taub waren sie gegenüber den Warnungen, so auf ihr Spiel konzentriert und daher blind gegen die aufsteigenden Nebelschwaden, dem weißen Gewand der Alten mit unzähligen Armen, die Gegend umschlingend unter ihrem Mantel erstickend. Schon erreicht hatten diese Schwaden die Spielplätze der Kinder, und nur noch dumpf waren die Schreie der Eltern zu vernehmen, die ihre Kinder suchten. Manches Kind erzählt, dass es nur noch ganz still die Stimme der Mutter vernehmen konnte; verzweifelt sah es sich um, den Weg nach Hause suchend, den der Nebel verdeckt hatte, als sie ein leises Fauchen und schwarze Augen aus dem Nebel auftauchen sahen und grässliche Fingernägel nach ihnen griffen.

Quelle: Pöcherstorfer Mathilde & Allmannsberger Mathilde, o. J.
Roger Michael Allmannsberger, Sagen aus Enzenkirchen, Teil 1.