D´Rädschaubat Lies

Eigentlich ist sie schon lange nicht mehr aufgetaucht, als hätte sie sich aus Angst vor dem heutigen Straßenverkehr zurückgezogen; aber wer weiß, vielleicht kehrt sie eines Tages wieder und holt das nach, was sie versäumt hat. Die Rede ist von der „Rotschaubat Lies“, einer Geistererscheinung mit rotem Mantel, die einst am „Schachigådern“, an der Grenze zwischen Enzenkirchen und Sigharting – unweit der Ortschaften Mühlwitraun und Loh, herumspukte. Was oder wer das Gespenst sein soll, darüber streitet man sich; die einen sagen es sei eine verrückte alte Frau gewesen, die dort droben in den Wäldern ihr Hexenunwesen trieb, die anderen glauben, dass es sich um eine Trud handle und viele andere Erklärungsansätze wurden und werden noch immer versucht. Wer sie aber wirklich ist, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben – und gerade deshalb jagen wohl Erzählungen von ihr Angst ein. Wenn sie auch heute nicht mehr tätig zu sein scheint, war sie es in früheren Zeiten sehr wohl. Vor allem in Zeiten in denen die Technik noch nicht so vorherrschend war wie heute. Man weiß nicht mehr genau wann es war, aber die Alten sind davon überzeugt, dass es sich so zugetragen hat. Irgendwann in vergangenen Zeiten soll ein Enzenkirchner Bauer vom Kirtag in Sigharting nach Hause gegangen sein. Vor lauter Gaudi im Wirtshaus des Nachbarortes war es schon etwas spät geworden, weshalb der Bauer beschloss sich auf den Weg zu machen, um rechtzeitig zur Wegarbeit zurück zu sein. Hätte er damals schon gewusst, was ihm geschehen würde, dann wäre er wohl noch auf ein paar Bier sitzen geblieben. Schon war er am „Schachigådern“ angelangt und eigentlich so gut wie zu Hause, als er im nahen Gehölz ein Knacken vernahm. Im selben Moment begann ein fürchterlicher Wind an zu brausen und dem Bauern durchfuhr kalter Schauder – nicht nur wegen des Windes, sondern vor allem wegen der bereits hereingebrochenen Dämmerung, die sich am Gådern in schwärzeste Dunkelheit verwandelte. Eilig setzte er seinen Weg fort, denn auch er hatte als kleiner Bub von der „Rotschaubat“ gehört und die Situation war ihm deswegen nicht mehr ganz geheuer. Plötzlich tauchten im dunklen, dichten Gehölz zwei kleine Lichter auf und verschwanden kurz darauf, um sofort wieder zu erscheinen – nur jetzt etwas näher. Sie näherten sich ihm. Langsam ergriff den Bauern Panik, er knöpfte seinen Janker bis zum obersten Knopf zu, zog sich die Hutkrempe ins Gesicht, senkte seinen Blick auf den Weg und eilte schnurstracks weiter, ohne nach links oder rechts zu schauen. Der Wind nahm an Heftigkeit noch mehr zu und pfiff durch den Tobel – durch den der Weg noch führte bevor man ihn zuschüttete und die heutige Straße errichtete – und zwar mit einer derartigen Gewalt, dass es den Bauern fast umhaute. Unbeeindruckt vom starken Wind brannten aber die Flammen der beiden Kerzen vor ihm, als wäre er gar nicht vorhanden. Die Knie schlotterten dem Bauern, sein Herz raste und seine Atemwege schnürten sich zu – während er den beiden Kerzen immer näher kam. Er musste einen Ausweg aus dieser unheimlichen Lage finden, dachte er sich und blickte suchend nach einem Ausweg immer wieder um sich. Sollte er in den Wald rundherum fliehen? Oder sollte er geradeaus weitergehen und die beiden Flammen ignorieren? Ein grässlicher, schriller Ton einer ziemlich hohen Frauenstimme erklang mit einem Male so laut, dass es dem Bauern fast das Trommelfell zerriss und er knapp an einem Herzinfarkt aufschreckte. Vor ihm sah er plötzlich die, wie durch einen Blitz aufgetretene, grässliche Gestalt eines Weibes mit feuerroten Haaren und einem ebenso feuerroten Mantel, mit zwei Kerzen in der Hand, die mit weit aufgerissenem Maul und schnell wie der Wind auf ihn zustürmte und ihn wie im Wirbelwind davon riss, dass der Bauer mit seinen Beinen vom Boden abhob die „Rotschaubat Lies“ mit ihm im tiefen Wald verschwand. Einige Bewohner der umliegenden Ortschaften hörten noch einen dumpfen Schrei, der durch den starken Wind kaum mehr zu vernehmen war und sahen ein rotes Lodern über den Wald als würde der Wald in Flammen stehen. Von dem Bauern sah und hörte man nie mehr wieder etwas.

Quelle: Kramer Josef 1994.
Roger Michael Allmannsberger, Sagen aus Enzenkirchen, Teil 1.