Da Teifl is a Hund...

Einst als die Wälder rund um Enzenkirchen noch dichter waren, gingen in ihnen oft Dinge vor, von denen man heute nur noch ungern spricht; sei es, weil die Menschen die davon betroffen waren nicht mehr unter uns weilen, oder aus Gründen der Verdrängung.

Besonders heute in unserer aufgeklärten Gesellschaft fällt es uns schwer an etwas zu glauben, was wider unserer Vernunft ist. Vielleicht liegt hier auch einer der Gründe, warum die alten Geschichten immer mehr in Vergessenheit geraten, obwohl gerade sie es oft sind, die aus der Seele unserer Umgebung sprechen. Ist diese erst einmal verschwunden wirkt sie wohl genau so steril und neutral, wie schon zu vieles in der Welt da draußen, daher liegt es an uns, jene Geschichten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ich kann mich noch schemenhaft an eine Zeit erinnern, wo meine Familie gemütlich zusammen saß und zu später Stunde, wenn die Dämmerung über die Erde hereingebrochen war, man sich an die alten Geschichten zurück erinnerte. Ich war zwar damals noch ein kleiner Junge und sicherlich habe ich vieles von den Geschichten vergessen, aber ich bin mir sicher, dass sie noch irgendwo tief in meinem Unterbewusstsein vorhanden sind. Leider, kann ich mich nur noch an einige erinnern, während andere in mir aufsteigen, wenn ich sie wieder erzählt bekomme. In Erinnerung geblieben sind mir vor allem kleine Anekdoten aus vergangenen Zeiten; darüber wie die Menschen gelebt haben und was sie fühlten. Besonders aber brannten sich die gruseligsten von ihnen in mein Gedächtnis und waren somit sicherlich nicht unbeteiligt daran, wie sich mein Leben entwickelte und welche Interessen mich fesselten. Eine dieser Geschichten will ich euch jetzt gerne vermitteln, auch wenn sie, wie es bei solchen immer üblich ist und auch sein soll, meine eigene Fantasie spielen lasse:

Sie handelt von einem Wald, der eigentlich nicht allzu weit von Enzenkirchen entfernt ist und den Meisten wohl auch heute noch als der Kenadingaberi bekannt sein dürfte. Auch heute noch, nach den Jahren der wirtschaftlichen Ausschlachtung unserer Wälder ist die Größe jener Waldfläche dort noch beträchtlich. Sicherlich, jenen Charme von alten Zeiten kann man nur noch mit sehr viel Fantasie den Klauen der Vergangenheit entreißen. Die Größe und auch die Dichte dieses Waldes mussten sich damals sehr von der heute geprägten Monokultur unterschieden haben. Wo heute aneinandergereiht Fichten wachsen, musste sich einst ein für unsere Gegend eigentlich typischer Mischwald befunden haben, indem die unterschiedlichsten Bäume und Sträucher wild wuchsen. Vielleicht, so wollen wir hoffen, wird der Wald eines Tages wieder so sein. Jedenfalls trieben sich dort neben den vielen unterschiedlichen Waldbewohnern auch oft die Menschen um, sei es als Wilderer oder als Jäger. Die Funktion des letzteren hatte damals ein uriger Enzenkirchner inne – und wie es für seinen Beruf üblich ist, war er es auch gewohnt, dass er nicht selten des Nachts in den Wäldern unterwegs war. Eine Vorstellung, die alleine ausreicht, um einen Menschen von heute, schon die Furcht ins Gesicht zu treiben, auch wenn er es niemals zugeben würde. „Was soll den dort schon passieren?“ wäre wohl das erste was einem dazu einfallen würde. Heute kann es gefährlicher sein, des Nachts in manchen Städten unterwegs zu sein, als in der freien Natur, draußen im Walde.

Aber einmal zugegeben, trotz all der Romantik, die man eventuell verspürt, wenn man zu später Stunde durch den Wald spaziert, schwingt doch immer etwas Angst mit. Nicht nur einmal war ich in der Nacht in den Wäldern unserer Gegend unterwegs – aber jedes Mal wieder schwang diese Anspannung mit. Vor allem in Gegenden – die auch im 21. Jahrhundert noch unweit jeglicher Zivilisation zu sein scheinen – wirken die Schatten noch immer länger, dunkler und in gewisser Art auch bedrohlicher. Der alltägliche Lärm von den Straßen verstummt und schafft eine Stille, die jedes kleinste ertönende Geräusch lauter erhallen lässt. Hat man das einmal selber erlebt, dann kann man sich in etwa in die Situation versetzen, mit der damals besagter Jäger konfrontiert war. Er war alleine in den Wäldern unterwegs, und noch bedrohlicher und dunkler muss ihm alles vorgekommen sein, wie uns heute. Auf seiner nächtlichen Wanderung gelangte er auch zum Kenadingerbach, dessen Lauf er in Richtung Kopfing verfolgte, um sich im Dickicht des Waldes orientieren zu können. Schon öfters hatte er das gemacht, und er hatte darin schon Routine. In dieser Nacht aber, war alles anders. Es musste Nahe an der Grenze zu Kopfing gewesen sein, als ihm etwas widerfuhr, dass ihn sein ganzes Leben lang zeichnen sollte. Ein leises Knacksen drang vom Wald hinter ihm an sein Ohr. Nichts Ungewöhnliches wenn man Nachts in den Wäldern herumstreift, könnte man meinen, aber in diesem Fall war es anders. Zusätzlich verspürte er auch starre Augen auf ihn gerichtet. Er drehte sich um, konnte aber nichts Außergewöhnliches entdecken, zu schwarz war die Umgebung hinter ihm; also setze er seinen Weg fort. Aber das Geräusch verstummte nicht, sondern zu ihm gesellte sich so etwas wie ein leises Schleifen auf dem Boden des Waldes. Langsam wurde sein Unbehagen größer und er musste an sich selbst feststellen, dass er, obwohl er die Geschwindigkeit seines Ganges nicht beschleunigt hatte und auch die Morphologie des Geländes dieselbe war wie vorher, stark zu schwitzen begann. Erklären konnte er sich dass nur durch das Unbehagen, dass seine Seele erfasst hatte, denn an der Hitze der Nacht konnte es nicht gelegen haben, denn Minuten vorher hat er sich noch gedacht, dass es wohl klüger gewesen wäre über sein Hemd auch noch eine Weste angezogen zu haben. Floskelhaft gesprochen bekam er eine Gänsehaut und sein Pulsschlag erhöhte sich wesentlich. Er hatte Angst. Nur wovor? Neben der Gänsehaut, verspürte er einen leisen Hauch in seinem Nacken. Noch wandte er sich um, aber wieder war nichts zu sehen. Erleichtert atmete er durch, als plötzlich zwei gelbe Augen aufblitzten und sich auf ihn stürzten. Zu kurz war die Zeit, um sein Gewehr abzufeuern und eine wilde Rauferei brach vom Zaun; mit einem Gegner dessen Antlitz er nicht einmal sehen konnte, zu schwarz war die Nacht. Einzig die gelben Augen sagten ihm, dass es kein Mensch war. Mit ungeheuerlicher Kraft wurde er zu Boden gerissen, aber er wusste sich zu wehren und ein wildes Gerangel entbrannte. Einmal war er am Boden, einmal sein Gegner – niemand gewann die Oberhand. Zwischen den Bäumen, Dornen und Sträuchern hindurch kämpfte er um sein nacktes Überleben. Viele hundert Meter mussten sie sich nun gegenseitig schon geschliffen haben, immer näher kamen sie dem Kenadingerbach. Lange würde er nicht mehr gegen den Übermächtigen Gegner bestand haben, schoss dem Mann durch den Kopf und merkte, dass seine Kraft ihn verließ. Noch einmal, mit einer letzten Kraftanstrengung konnte er seinen Gegner herumreißen und ihn ins Bachbett des nahen Baches zerren; da bemerkte er, wie die Bestie die Kraft verließ und sie mit einem male Laute von sich gab, wie man sie sonst nur vernimmt, wenn man einen Hund züchtigt. Aber auch diese war noch nicht am Ende ihre Kräfte, biss den Jäger kräftig und schmerzhaft in seinen Unterarm und versetzte ihm vier tiefe Kratzer im Gesicht, sodass dieser zurückwich und sich vor Schmerz im Wasser des Baches wand. Der Hund, Wolf, die Bestie, oder was immer es auch war, ergriff sofort die Flucht und verschwand wieder im Dunkel des Waldes. Eiligst rannte der Mann nach Hause, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, seine im Kampfe verlorenen Sachen, wie seinen Hut und seine Flinte, aufzuklauben. Kein einziges Mal wagte er sich umzudrehen – denn einen weiteren Kampf mit der Bestie hätte er nicht überlebt. In den eigenen vier Wänden angekommen verarztete ihn vorerst einmal seine Frau, so gut sie konnte, aber die Narben jener Nacht zeichneten ihn bis ans Ende seiner Tage. Seine Hände, mit denen er das Ungetüm ins Bachbett zerrte waren verkrüppelt und auf seiner linken Wange zogen sich vier fette Narben bis zu seinem Mund. Nie mehr wagte er sich bei Einbruch der Dunkelheit in der Nähe eines Waldes und so überzeugt er früher von dessen Friedfertigkeit war, so weniger traute er ihm jetzt. Es lauern eben doch noch viele Geheimnisse und Gefahren in ihm.

Quelle: Samhaber Maria, o. J.
Roger Michael Allmannsberger, Sagen aus Enzenkirchen, Teil 1.